1978: Arbeitskampfrecht auf Hessenart
Es ist nachvollziehbar, dass es den Juristen (m/w/d) etwas Nerven kostet, wenn die breite Öffentlichkeit bzw. mehr oder weniger rechtskundige Possenreißer beim Schlagwort "antiquierte Vorschriften der Hessischen Verfassung" immer nur an die Todesstrafe denken.
Größere Aufmerksamkeit verdiente tatsächlich wohl eher Artikel 29 Absatz 5 Hessische Verfassung: "Die Aussperrung ist rechtswidrig."
Mit Urteil vom 27. September 1978 entschied das Arbeitsgericht Frankfurt am Main über den Lohnanspruch eines Gewerkschaftsmitglieds gegen seinen Arbeitnehmer für die Zeit vom 14. März (7 Uhr) bis 20. März 1978 (12 Uhr). Über diesen Zeitraum war der Arbeitnehmer im Zuge eines Arbeitskampfes ausgesperrt worden. Die Gewerkschaft machte die an sie abgetretenen, der Höhe nach unstrittigen Lohnansprüche geltend.
Bundesgesetzlich sind Arbeitskämpfe nicht geregelt, obwohl sie doch eine zentrale Veranstaltung zur Regelung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse zwischen Arbeitskräften und Kapitaleignern sind oder es doch sein sollen. Man könnte sich parlamentarisch sogar darüber streiten, ob man nicht wieder etwas mehr wohlgeordneten Klassenkampf gebrauchen könnte – mit Blick auf das Stabilitätsgesetz oder damit die Leute nicht aus dümmeren Gründen in den Fußgängerzonen herumdemonstrieren.
In seiner Würdigung des inhaltsarmen Artikels 9 Absatz 3 Grundgesetz befand das Arbeitsgericht Frankfurt 1978 jedenfalls, dass die Aussperrung als Kampfmittel der Arbeitgeberseite nicht durch die Bundesverfassung garantiert sei. Selbst wenn weitere Gewichtungen der Arbeitskampfmittel im Urteil mehr Raum einnahmen: Auch über die Wertung des hessischen Verfassungsgebers wollte sich das Arbeitsgericht nicht hinwegsetzen.
Diese Entscheidung aus dem Jahr 1978 elektrisierte die deutsche Arbeitsrechtswissenschaft. Zehn Jahre danach sollte das Bundesarbeitsgericht jedoch in einer anderen Sache erklären, dass Aussperrungen bundesrechtlich erlaubt sein können.
Seither ist die Aufmerksamkeit für das hessische Aussperrungsverbot stark abgekühlt, obwohl es doch als Stachel im Fleisch wahrgenommen werden sollte – dass das Arbeitskampfrecht nicht umfassend gesetzlich geregelt ist, bleibt ein für den modernen Verfassungsstaat fragwürdiger Zustand.
Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 27.09.1978, Az. 5 Ca 199/78.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.04.1988, Az. 2 AZR 399/86.
Abstimmung über die Landesverfassung: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31739 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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