Die Ampel-Koalition kriselt schwer, laut einem Medienbericht schaltet sich der Bundespräsident ein. Zum vorzeitigen Ende einer Wahlperiode kommt es in Deutschland nur selten. Doch wenn es so weit ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Die Ampel-Koalition ist Geschichte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) heftig, womöglich droht ihr gar das vorzeitige Aus. Wie die FAZ berichtet, hat sich nun sogar Bundespräsident Steinmeier eingeschaltet und am Mittwochnachmittag mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU/CSU) – entgegen erster Meldung der FAZ allerdings getrennt – ausgetauscht.
Das wirft die Frage auf: Wie ginge es beim Bruch der Ampel-Koalition weiter? Theoretisch könnten zwar die verbleibenden Teile der Koalition bis zum regulären Wahltermin am 28. September 2025 eine Minderheitsregierung bilden, was in Deutschland seit Weimarer Zeiten indes als unbeliebt gilt. Ein solches Bündnis müsste sich dann aber für jedes Gesetzesvorhaben mit Stimmen aus der Opposition eine Mehrheit suchen. Das dürfte schon bei der wichtigen Frage nach dem Bundeshaushalt 2025 nicht gelingen.
Daneben sind folgende weitere Konstellationen denkbar.
Das Misstrauensvotum
Nach Art. 67 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) kann der Bundestag dem Kanzler das Misstrauen aussprechen – allerdings nur, indem er mit Mehrheit einen Nachfolger wählt ("konstruktives Misstrauensvotum"). Er würde dann den Bundespräsidenten ersuchen, den bisherigen Kanzler zu entlassen. Dazu wäre der Bundespräsident gemäß Art. 67 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG verpflichtet. Er müsste den neu Gewählten ernennen.
Hierfür gibt es in der Bundesrepublik bislang nur einen einzigen Präzedenzfall: 1982 wechselte die FDP vom bisherigen Koalitionspartner SPD und ihrem Kanzler Helmut Schmidt zur CDU/CSU und wählte zusammen mit der Union Helmut Kohl (CDU) zum neuen Kanzler. Der entscheidende Unterschied zu heute: Damals hatten CDU/CSU und FDP zusammen eine Mehrheit im Bundestag, heute hätten sie diese nicht.
Die Vertrauensfrage
Wahrscheinlicher wäre insoweit die Vertrauensfrage gemäß Art. 68 GG. Der Bundeskanzler würde hiernach gegenüber beim Deutschen Bundestag beantragen, ihm das Vertrauen auszusprechen – in der Erwartung, dass das Parlament dies gerade nicht tut, er also keine Mehrheit bekommt. Der Kanzler kann dies – muss es allerdings nicht – mit einem konkreten Gesetzgebungsvorhaben verknüpfen, also aktuell etwa mit dem Tariftreuegesetz, das die FDP ablehnt. Erhält der Kanzler keine Mehrheit, kann er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Anders als beim Misstrauensvotum läge die Auflösung des 20. Deutschen Bundestages dann also gemäß Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG im Ermessen des Bundespräsidenten.
Zuletzt verfuhr Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 so. Dieses Vorgehen, das Jurastudenten auch als "unechte Vertrauensfrage" bekannt ist, gilt jedoch als verfassungsrechtlich umstritten, weil es nicht – wie eigentlich im Grundgesetz intendiert – darauf abzielt, das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen. Vielmehr soll gerade das Gegenteil erreicht werden, nämlich die für die Vertrauensfrage nötige Mehrheit zu verfehlen. Das Bundesverfassungsgericht billigte dies 2005 jedoch grundsätzlich ("Vertrauensfrage II", Urt. v. 25.08.2005, Az. 2 BvE 4/05 und 2 BvE 7/05).
Wichtige Zeitvorgaben
Bei einem Misstrauensvotum wären der neu gewählte Kanzler und sein Kabinett nach der Ernennung durch den Bundespräsidenten und der Eidesleistung im Bundestag sofort im Amt. Ginge der Kanzler den Weg über die Vertrauensfrage, dann hätte der Bundespräsident nach Art. 68 maximal 21 Tage Zeit, um den Bundestag aufzulösen.
2005 verlor Schröder am 1. Juli wie gewünscht die Vertrauensfrage im Bundestag. Am 13. Juli schlug er Bundespräsident Horst Köhler die Auflösung des Bundestages vor, was dieser am 21. Juli tat. Zugleich setzte Köhler eine Neuwahl für den 18. September an. Die Neuwahl muss gemäß Art. 39 GG innerhalb von 60 Tagen nach der Auflösung des Bundestages stattfinden.
Trotz Auflösung nicht führungslos
Auch wenn der Bundestag aufgelöst würde, wäre Deutschland nicht politisch führungslos. Der Kanzler und sein Kabinett blieben geschäftsführend im Amt. Art. 69 Grundgesetz sieht vor, dass der Kanzler auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet ist, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen. Gleiches gilt für Bundesminister, wenn sie der Bundespräsident oder der Bundeskanzler darum ersuchen. Diese Regelung kommt regelmäßig nach Bundestagswahlen zum Tragen, wenn der Bundestag zwar schon zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten ist, die neue Regierung aber noch nicht steht.
Zerbräche die Ampel einseitig an der FDP, dann könnte der Kanzler den Bundespräsidenten bitten, deren Minister (Finanzen, Justiz, Verkehr sowie Bildung) zu entlassen. Ihre Aufgaben könnten von anderen Ressortchefs mit übernommen werden. Der Kanzler könnte aber auch Nachfolger vorschlagen und vom Bundespräsidenten ernennen lassen.
Bei Neuwahl: Wahlkampfmodus aus dem Nichts
Würde der Bundestag aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt, käme das politische Handeln mit einem Schlag zum Erliegen – inklusive der innen- und nicht zuletzt der in Anbetracht der US-Präsidentschaftswahl auch außenpolitisch signifikanten Implikationen. Die Parteien würden umgehend in den Wahlkampfmodus umschalten, die Vorbereitungszeit für die Wahl wäre extrem kurz. Relevant wäre dies vor allem auch für den Bundeshaushalt 2025, der dann nicht mehr in diesem Jahr verabschiedet werden könnte.
Es träte dann die sogenannte vorläufige Haushaltsführung ein: Ab Januar dürften im Wesentlichen nur noch Ausgaben getätigt werden, für die eine gesetzliche Verpflichtung vorliegt. Dieses Verfahren ist indes bereits erprobt und wird immer nach Bundestagswahlen wirksam, weil der Haushaltsentwurf der alten Regierung verfällt und die neue Regierung regelmäßig erst im neuen Jahr ihren eigenen Etatentwurf vorlegt.
dpa/jb/LTO-Redaktion
Scholz entlässt Finanzminister Lindner: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55804 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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