Die Verfassung soll kein Wunschkonzert mehr sein
Bereits die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hatte zu einer wichtigen sozialen Frage Stellung bezogen. In ihrem Grundrechtsteil hießt es unter Artikel 145 Absatz 3: "Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich."
Wer nicht selbst von den eigenen, möglicherweise bildungsbeflissenen Eltern oder Großeltern gehört hat, welche Enttäuschung für sie darin lag, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen, schon wegen der Schulgebühren nicht ans Abitur denken durften, geschweige denn an ein Hochschulstudium, wird schlecht nachvollziehen können, welch ungeheuerliches Versprechen die alte Reichsverfassung damit machte.
Das Problem: Nach ganz herrschender Auffassung handelte es sich nur um ein programmatisches Versprechen. Der Gesetzgeber der Weimarer Republik setzte es nicht in die Praxis um.
Mit Urteil vom 8. Juli 1949 entschied aber der Staatsgerichtshof des Landes Hessen, dass eine der Weimarer Norm entsprechende Regelung der Landesverfassung nicht bloß programmatischer Natur war, sondern seit ihrem Inkrafttreten 1946 als unmittelbar geltendes Recht zu behandeln sei – und erklärte damit zwischenzeitlich doch erhobene Gebühren für rechtswidrig.
Was sie von bloßer Verfassungslyrik hielten, notierten die Richter 1949 wie folgt:
"Daraus, dass die Weimarer Verfassung - wenn auch zum Teil zwangsläufig - sehr viel Programmsätze und wenig positives Recht enthielt, ergaben sich die aus der Vergangenheit hinlänglich bekannten Streitpunkte und Schwierigkeiten, die schließlich zu einer Aushöhlung der gesamten Verfassungsgrundlagen führten. Eine solche Entwicklung wollte die Hessische Verfassung bewusst verhindern und Programmsätze nach Möglichkeit vermeiden."
Knapp 70 Jahre später steht der Hessischen Verfassung ein ganzer Katalog neuer Staatsziele ins Haus.
Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Urteil vom 08.07.1949, Az. P.St. 22.
Abstimmung über die Landesverfassung: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31739 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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