Von der Widerstandspflicht bei Verfassungsbruch
Die Tätigkeit der alliierten Besatzungsmächte und der zunächst von ihnen legitimierten deutschen staatlichen Institutionen hinterließ eine lange Spur an Rechtsproblemen – und die Verfassung des Landes Hessen bot merkwürdige Möglichkeiten, die Gerichte zu beschäftigen.
So ging 1963 der Sohn eines Mannes gegen das Urteil eines hessischen Landgerichts vor: Der Vater war 1950 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden, das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte die Revision des Vaters acht Monate später verworfen.
Vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen rügte der Sohn, dass das Schwurgericht im Jahr 1950 statt nach § 81 Gerichtsverfassungsgesetz mit drei Richtern und sechs Geschworenen tatsächlich nur mit zwei Richtern und sieben Geschworenen besetzt gewesen sei. Diese Besetzung beruhte auf einer Anordnung des Hessischen Ministers der Justiz aus dem Jahr 1947.
Der Ansatzpunkt des Sohnes, gegen die Besetzung des Gerichts kraft dieser Anordnung vorzugehen, ergab sich aus Artikel 147 Absatz 2 Hessische Verfassung:
"Wer von einem Verfassungsbruch oder einem auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmen Kenntnis erhält, hat die Pflicht, die Strafverfolgung des Schuldigen durch Anrufung des Staatsgerichtshofs zu erzwingen. Näheres bestimmt das Gesetz."
Der Staatsgerichtshof erklärte die vom Gerichtsverfassungsgesetz abweichende Besetzung jedoch in einer hübsch verwickelten Argumentation zum reichs-, besatzungs- und bundesrechtlichen Rechtsstand für gültig und befand darüber hinaus, dass für die Anwendung der pathetischen Widerstandspflicht nunmehr kein Raum mehr sei.
Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Beschluss vom 30.04.1963, Az. P.St. 359.
Abstimmung über die Landesverfassung: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31739 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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