2006 – Der neue Pranger
Auf eine Trunkenheitsfahrt folgt die richterliche Anordnung, sich mit dem Schild „I am a drunken driver“ in die Öffentlichkeit zu stellen. Wall-Street-Banker finden sich nach dem Urinieren auf der Straße wieder – mit dem Befehl, sie zu reinigen.
Am bekanntesten aber ist natürlich die Pflicht sogenannter Sexualstraftäter (Sex Offenders), sich der Nachbarschaft als solche vorzustellen. Mitunter weit jenseits aller europäischen Vorstellungen von Verhältnismäßigkeit liegen dem teilweise Sexualdelikte zugrunde, die z.B. in der Verletzung rigider Altersgrenzen bestehen.
"Die Renaissance der Ehrenstrafe macht den europäischen Betrachter ratlos: Ist die amerikanische Rechtspolitik in einer anachronistischen Wendung auf eine Sanktionsart einer vergangenen Zeit gestoßen? Oder sind die shame sanctions nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die amerikanische Gesellschaft nicht etwa einem kulturellen Standard Europas hinterher hinkt, sondern einer möglichen Entwicklung diesseits des Atlantiks voraus eilt?"
Ist das Recht der Prangerstrafe Teil nur der Gegenwart und Vergangenheit der USA – oder auch Teil unserer Zukunft? Vor zehn Jahren fragte dies Michael Kubiciel, damals Assistent, heute Strafrechtsprofessor in Köln (Shame Sanctions – Ehrenstrafen im Lichte der Straftheorie, ZStrW 2006, S. 44-75).
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft können im Recht beunruhigend nah beieinanderliegen.
Bild: Martin Rath
Martin Rath, Für das Recht in 2016: . In: Legal Tribune Online, 01.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18008 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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