Corona hat es bis zum BAG geschafft: In der Kurzarbeit gibt es weniger Urlaub. Aber auch die Ausstattung für Lieferfahrer und der gelbe Schein landeten beim höchsten Arbeitsgericht.
1/9: (K)ein Urlaub in der Kurzarbeit
Wer nicht arbeitet, braucht auch keinen Urlaub – so hatte längst der Europäische Gerichtshof (EUGH) die Frage nach den Auswirkungen von Kurzarbeit auf den Urlaubsanspruch beantwortet. Das BAG zog nun nach: Fallen einzelne Arbeitstage aufgrund von Kurzarbeit vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen (BAG Urt. v. 30.11.2021, Az. 9 AZR 225/21). Das Gericht befand, dass bei einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht mit der Arbeitspflicht gleichzustellen seien. Der 9. Senat klärte damit eine Rechtsfrage, die bislang in Deutschland noch höchst umstritten war.
In der Pandemie wurde das Thema besonders relevant: Schon im ersten Corona-Jahr 2020 wurden rund 649 Millionen bzw. rund 9 Prozent weniger Arbeitsstunden geleistet wurden als im Vorjahr.
2/9: Beweiswert der Krankmeldung erschüttert
Wer hörte nicht schon davon: Arbeitnehmer:innen kündigen und lassen sich im Wesentlichen bis zum Ende der Laufzeit des Arbeitsvertrages krankschreiben, um unter Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr an der bisherigen Wirkungsstätte erscheinen zu müssen.
Die Erfurter Richter:innen sehen in derartigen Situationen den Beweiswert der Bescheinigung auf Arbeitsunfähigkeit erschüttert. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Zeitraum passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst, so das BAG (Beschl. v. 08.09.2021, 5 AZR 149/21). In so einem Fall hätte die Klägerin nach Überzeugung Richter:innen des 5. Senats darlegen und beweisen müssen, dass sie tatsächlich nicht arbeiten konnte – etwa durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht.
3/9: Mindestlohn für ausländische Pflegekräfte
Längst suchen Menschen für die Pflege ihrer Angehörigen Hilfe im Ausland, doch günstiger ist der Arbeitslohn nicht mehr unbedingt: Denn auch eine nach Deutschland entsandte, ausländische Betreuungskraft erhält den Mindestlohn – und zwar sowohl für die Arbeitszeit als auch für Bereitschaftszeiten, entschied das BAG (Urt. v. 24.06.2021, Az. 5 AZR 505/20). Unter Umständen muss der Mindestlohn sogar für 24 Stunden am Tag bezahlt werden.
Das BAG stellte mit dieser Entscheidung klar, dass das Mindestlohngesetz unabhängig vom auf den Vertrag anwendbaren Recht anwendbar ist. Das folge aus Art. 8 der Verordnung Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO).
4/9: Corona-Lockdown ist kein Betriebsrisiko
Massenhaft wurden während der Coronapandemie Betriebe geschlossen, viele Beschäftigte gingen in Kurzarbeit bis hin zu Kurzarbeit Null und bezogen Kurzarbeitergeld. Diese Möglichkeit blieb geringfügig Beschäftigten in Minijobs ohne Sozialversicherungspflicht verwehrt, sie unterfallen nicht den persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeit, §§ 95 Nr. 3, 98 Abs. 1 SGB III iVm. § 8 Abs. 1 SGB IV.
Grundsätzlich tragen die Unternehmen das Betriebsrisiko – doch von diesem Grundsatz wich das BAG im Fall von pandemiebedingten, behördlich veranlassten Betriebsschließungen ab: In einem solchen Falle realisiere sich nicht das Betriebsrisiko, vielmehr sei die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Dafür sei aber nicht der Arbeitgeber einstands- und zahlungspflichtig. Tätigwerden müsse für diese Fälle der Gesetzgeber (BAG, Urt. v. 13.10.2021, Az. 5 AZR 211/21).
5/9: Überstunden oder Mehrarbeit in Teilzeit
Wann machen Teilzeitkräfte eigentlich Überstunden? Sobald sie die vereinbarte Arbeitszeit überschreiten oder erst, wenn sie das Kontingent der Vollzeitkolleg:innen erreicht haben? Der 8. Senat des BAG hat diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt (Beschl. v. 28.10.2021 Az. 8 AZR 370/20 (A)). Zugrunde liegt die Frage, ob es eine ungerechtfertigte Diskriminierung ist, wenn die Teilzeitkräfte erst ab Erreichen der Vollzeit-Arbeitszeit Überstundenzuschläge erhalten.
Der 6. Senat hatte kurz vor der Vorlage durch den 8. Senat für Teilzeitbeschäftigte im öffentlichen Dienst entschieden, dass diesen ein Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zusteht, falls sie nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen wird (Urt. v. 15.10.2021, Az. 6 AZR 253/19). Der 6. Senat des BAG hatte mit dieser Entscheidung die bisherige Rechtsprechung aufgegeben.
6/9: Anwaltskosten bei Compliance-Ermittlungen
Die Kosten für Compliance-Ermittlungen können grundsätzlich vom Beschäftigten zu ersetzen sein: Ein solcher Ersatzanspruch gemäß § 249 Bürgerliches Gesetzbuch sei für den Arbeitgeber grundsätzlich denkbar, urteilten die Erfurter Richterinnen und Richter. Das BAG nannte in dieser Entscheidung dafür allerdings einige Bedingungen: Es müsse ein konkreter Verdacht auf eine erhebliche Verfehlung seitens des Arbeitgebers bestehen, so der 8. Senat (Urt. 29.04.2021, Az. 8 AZR 276/20).
In dem zugrunde liegenden Fall hatte eine Führungskraft mehrfach auf Kosten des Arbeitgebers Kunden zum Essen eingeladen und Champions-League-Spiele des FC Bayern München besucht. Nach entsprechenden Hinweisen beauftragte das Unternehmen eine Kanzlei, es entstanden Kosten in Höhe von 209.678,69 Euro. In diesem Fall blieb die Firma auf den Kosten sitzen: Der Arbeitgeber hatte nicht substantiiert dargelegt, welche konkreten Tätigkeiten bzw. Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen die ehemalige Führungskraft unternommen worden waren. Der Führungskraft allerdings war erfolgreich gekündigt worden.
7/9: Gleichbehandlung von Syndikusanwält:innen
Das BAG hat sich erneut mit der Frage befassen müssen, ob Volljurist:innen einen Anspruch gegen ihre Arbeitgeber:innen auf die Erklärungen für die Zulassung haben, § 46 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Diese sind der regionalen Rechtsanwaltskammer für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt oder -anwältin vorzulegen.
In dem Fall hatte die Gewerkschaft Verdi für einige Volljurist:innen die Erklärungen abgegeben, für andere nicht, obwohl alle eine gleiche Tätigkeit ausüben. Die Beschäftigten sind allerdings gleich zu behandeln, entschied das BAG, das ergebe sich aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (Urt. v. 27.4.2021, Az. 9 AZR 662/19).
8/9: Handy für die Fahrer:innen vom Lieferdienst
Arbeitgeber:innen müssen ihren Beschäftigten die notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung stellen, damit sie ihre Arbeit verrichten können. Bei der einen sind das Hammer und Leiter, beim anderen Computer und Tastatur. Den Lieferfahrer:innen müssen die Arbeitgeber:innen ein Fahrrad und ein Mobiltelefon geben, entschied das BAG (Urt. v. 10.11.2021, Az.: 5 AZR 334/21 und 5 AZR 335/21).
Das Unternehmen hatte sich mit den eigenen AGB herauswinden wollen: Danach sollen die Fahrer:innen ihre eigenen Sachen nutzen. Diese Bedingungen hielten die Erfurter Richter:innen allerdings für unangemessen. Nur wenn ein ausreichender finanzieller Ausgleich für den Einsatz der eigenen Sachen erfolge, wären Ausnahmen von der Pflicht, die Betriebsmittel zu stellen, denkbar.
9/9: Urlaubsanspruch und Insolvenz
Urlaubsansprüche, auch solche vor Einleitung eines Insolvenzverfahrens, sind privilegiert und auch bei "starker" vorläufiger Verwaltung aus der Masse zu begleichen (Urt. v. 25.11.2021, Az. 6 AZR 94/19). Das hat das BAG entschieden und damit seine Rechtsprechung teilweise geändert.
Damit müssen Urlaubsansprüche vor allen anderen Forderungen von Lieferanten und Subunternehmern vollständig aus der Insolvenzmasse befriedigt werden. Das führt bei Verfahren mit einer ausreichenden Insolvenzmasse zu einer Verringerung der Insolvenzquote, denn jetzt werden höhere Forderungen voll befriedigt, die sonst nur eine Quote erhalten hätten.
Zu guter Letzt: Kopie von allem oder nichts?
Wie weit geht der Auskunftsanspruch der Beschäftigten nach § 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)? Das sollte das BAG schon längst geklärt haben – doch lange Zeit kam es aus unterschiedlichen Gründen nicht zu dem von Arbeitsrechtler:innen erwarteten Entscheidung. Und dabei bleibt es auch: Die letzte Chance für dieses Jahr war am 16. Dezember. Da hatte das BAG die Revision in der Sache LAG Baden-Württemberg vom 17. März 2021 (Az. 21 Sa 43/20) zu entscheiden. Der Kläger hatte Informationen und Kopien zu diversen verhaltens- und leistungsbezogenen Daten beansprucht. Das BAG wies die Klage ab (BAG, Urt. v. 16.12.2021, Az. 2 AZR 235/21).
Schon die Klage eines Wirtschaftsjuristen, die es im April bis zum BAG geschafft hatte, war schlichtweg zu unbestimmt (BAG, Urt. v. 27.4.2021, Az. 2 AZR 342/20). Der Mann hatte von seiner ehemaligen Arbeitgeberin Auskunft über seine von ihr gespeicherten personenbezogenen Daten samt Kopie dieser Daten verlangt. Die Auskunft hatte er erhalten – doch er wollte noch Kopien. Offenbar hat er nicht hinreichend deutlich mitgeteilt, welche, denn das BAG befand: Es sei unklar, von welchen E-Mails der Kläger genau eine Kopie begehrt.
Sollte man kennen: Neun Entscheidungen des BAG aus 2021 . In: Legal Tribune Online, 27.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47015/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag