BAG sieht Rechtsmissbrauch: Keine Ent­schä­d­i­gung für AGG-Kläger auf Sek­re­tärin-Stelle

von Tanja Podolski

19.09.2024

Sein Anwalt zog noch Vergleiche zu Gandhi und Mandela, doch es half alles nichts: Der Wirtschaftsjurist, der sich erfolglos auf Sekretärinnen-Stellen bewarb und aus AGG klagte, bekommt auch vom BAG keine Entschädigung.

"Bis demnächst!" Mit diesen Worten des Vorsitzenden Prof. Dr. Günter Spinner an den Klägeranwalt endet die mündliche Verhandlung an diesem Donnerstag am Bundesarbeitsgericht (BAG). Nur rund 45 Minuten hat der achte Senat getagt, die Entscheidung der fünf Richter:innen wird er etwas später am Tag verkünden (Urt. v. 19.09.2024, Az. 8 AZR 21/24). Dafür bleibt keiner der Beteiligten in Erfurt. 

Der Senat verhandelte eine Klage auf Entschädigung wegen Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Michael W. hatte sich in dem konkreten Fall auf eine Stelle als "Bürokauffrau/Sekretärin" beworben, die das Unternehmen auf der Stellenbörse Indeed eingestellt hatte. Das war nicht seine einzige Bewerbung dieser Art: Der etwa 30-Jährige bewarb sich auf diverse ausgeschriebene Stellen, viele davon waren nicht geschlechtsneutral formuliert, sondern richteten sich ausschließlich an Frauen. In solchen Stellenausschreibungen liegt regelmäßig ein Verstoß gegen das AGG, weil für alle Menschen diskriminierungsfrei der Weg in die Berufstätigkeit – und dann auch im Arbeitsleben – sichergestellt werden soll. Gegen Arbeitgebende, die gegen das Gesetz verstoßen, haben die Betroffenen daher einen Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung, § 15 Abs. 2 AGG. 

Das gilt aber nur, wenn man das Recht nicht zielgerichtet zu seinen eigenen Gunsten ausnutzt, um genau dieses Geld zu bekommen – aber den Job eigentlich gar nicht haben will. Das wäre ein Rechtsmissbrauch, der den Anspruch ausschließt, § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Genau das hatte die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm, dem Mann vorgeworfen und ihm keine Entschädigung zugesprochen. BAG-Richter Spinner betonte am Donnerstag noch einmal, dass das LAG die Anspruchsvoraussetzungen für die Entschädigung dabei erst gar nicht geprüft hatte. "Das könne dahinstehen, da jedenfalls ein Rechtsmissbrauch vorlag", fasste er die Entscheidung zusammen. 

"Geschäftsmodell in zweiter Generation"

Begründet hatte das LAG diese Annahme des Rechtsmissbrauchs mit dem Zusammenfallen vieler Aspekte: Fehler im Anschreiben, die schlechte und nicht auf die Ausschreibung bezogene Formulierung des Anschreibens, nicht übermittelte Anlagen und die Entfernung der Arbeitsstätte zum Wohnort. Vor allem aber stellte das LAG darauf ab, dass W. sich an vielen verschiedenen Arbeitsorten auf diskriminierend formulierte Stellenausschreibungen beworben hatte und im Anschluss stets Entschädigungen geltend gemacht hatte. Spinner zählte Bewerbungen u.a. in Düsseldorf, in Marburg, in Berlin, Hamburg und Dortmund auf. 

Die Kammer in der Vorinstanz bezeichnete das als ein "Geschäftsmodell in zweiter Generation", weil W. seine Anschreiben im Laufe der Zeit immer weiterentwickelt habe. Er habe sein Verhalten dabei an erfolgreich geführte Entschädigungsverfahren angepasst, meinten die LAG-Richter:innen. Die Formulierung lässt sich durchaus doppeldeutig verstehen: Sie klingt wie eine Erinnerung an frühere Fälle gehäufter AGG-Klagen in einer Person, die schon vor Jahren Personalabteilungen und Gerichte beschäftigten.

Denn mit Inkrafttreten des AGG war aus Sicht von Arbeitsrechtler:innen insbesondere der Arbeitgeberseite das eingetreten, was sie befürchtet hatten: ein mutmaßlicher Missbrauch der gut gemeinten Regelungen gegen Diskriminierungen. Seinerzeit hatte etwa ein Rechtsanwalt viele Klagen wegen diskriminierender Stellenanzeigen erhoben und reihenweise Ansprüche gegen Kanzleien und Unternehmen geltend gemacht. Die Großkanzlei Gleiss Lutz legte seinerzeit ein AGG-Register an, in dem Kläger:innen nach dem AGG geführt werden sollten, um diese zu entlarven. Das musste aus Datenschutzgründen eingestellt werden.

Der damals als "AGG-Hopper" bekannt gewordene Rechtsanwalt erhielt stattliche Entschädigungen, doch es führte auch zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft inklusive einer Verurteilung u.a. wegen Betruges. Diese hob der Bundesgerichtshof jedoch auf und verwies das Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts München I zurück (BGH, Beschl. v. 04.05.2022, Az. 1 StR 138/21). Dort ist das Verfahren seitdem anhängig. Auf LTO-Anfrage teilte die Pressestelle mit: "Das Gericht hat auf der Grundlage der Entscheidung des BGH umfangreiche Nachermittlungen in Auftrag gegeben, die noch nicht abgeschlossen sind." 

Verfahren zu teuer für ein Geschäftsmodell? 

Soweit ist es für W. noch nicht gekommen. Sein Anwalt betonte an diesem Donnerstag in Erfurt, dass die Entschädigungsklagen auch kein auskömmliches Geschäftsmodell sein könnten. Das sehe man auch daran, dass sein Mandant Prozesskostenhilfe beantragt habe. Im Übrigen habe W. im Zeitraum der Bewerbungen Arbeitslosengeld I bzw. Bürgergeld bezogen und sei sogar verpflichtet gewesen, sich zu bewerben. Der Staat habe es mit dem AGG den Privaten auferlegt, gegen Diskriminierung vorzugehen Was also sei "mit den Menschen, die einfach ein Problem mit Diskriminierung haben"? 

Klägeranwalt Nils Kratzer erinnerte an Nelson Mandela, Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Heute aber gebe es "Hetzgesänge gegen Menschen, die sich auf das AGG berufen", so der Fachanwalt für Arbeitsrecht. 

Sein Mandant will eine Entscheidung. Die auch vor dem BAG noch mögliche gütliche Einigung lehnt der gelernte Industriekaufmann mit Abitur, der ein Fernstudium zum Wirtschaftsjuristen absolviert, ab. W. will die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und mindestens 6.000 Euro Entschädigung, das wären zwei Bruttomonatsgehälter. 

Er habe entgegen der Darstellung des LAG nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt. Es sei in den Internet-Portalen gar nicht vorgesehen, dass man Anlagen hochladen kann und der Arbeitgeber hätte auch keine angefordert, sagt W. Die vorgeworfenen absichtlichen Rechtschreibfehler habe er nicht vorsätzlich gemacht, um eine Ablehnung zu bewirken. Schließlich kämen auch in Urteilen des BAG noch Fehler vor. Und schließlich könne auch die Entfernung vom Wohn- zum Arbeitsort keine Rolle spielen. 

"Er tut Diskriminierten keinen Gefallen"

Die meiste Zeit nimmt er nur ein Drittel der Klägerbank ein, der große Mann sitzt in seinem schlechtsitzenden schwarzen Anzug fast eingefallen neben seinem Anwalt, den Blick zum Boden gerichtet. Das Bild ändert sich, als er spricht: Er legte mit sicherer Stimme dar, dass die Entfernung von Wohnsitz zu Arbeitsort bei anderen Bewerbern keine Rolle spiele – dann dürfe das bei ihm auch nicht sein. "Wir haben im Grundgesetz einen Gleichheitssatz."

W. kommt zu dem Fazit: Würde das Gericht von den anderen Klagen nichts wissen, gäbe es auch dieses Verfahren nicht". Der Vorsitzende widerspricht nicht, im Gegenteil: "Das ist vermutlich richtig."

Das Gericht kannte die anderen Klagen aber auch deshalb, weil das beklagte Unternehmen dem LAG die vielen anderen Verfahren zur Kenntnis gebracht hatte. Beklagtenvertreter Rechtsanwalt Dr. Hendrik Zeiß aus der Kanzlei Ehlers & Feldmeier aus Dortmund wollte daher auch an diesem Tag die Person des Klägers nicht in den Hintergrund stellen. Es gehe hier nämlich nicht um den Kampf gegen Diskriminierung. Vielmehr meint Zeiß mit Blick auf den Kläger: "Er tut den tatsächlich Diskriminierten damit keinen Gefallen." 

Dem Senat, das sagte Richter Spinner am Ende der Verhandlung, "liegt das AGG sehr am Herzen. Das kann ich Ihnen versichern." Es sei "durchaus erstaunlich, dass es im Jahr 2023 und 2022" – den Zeiträumen des Sachverhaltes – noch Arbeitgeber gibt, die keinen geschlechtsneutralen Stellenausschreibungen machen. 

Jedenfalls in diesem Fall aber müssen die Arbeitgebenden trotzdem nicht zahlen: Der Senat wies diese Revision hier zurück. Der letzte AGG-Fall war dies nicht.

Zitiervorschlag

BAG sieht Rechtsmissbrauch: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55459 (abgerufen am: 27.09.2024 )

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