Seit 1975 der althergebrachte Tatbestand des "Mundraubs" aus dem Gesetz gestrichen wurde, ist für den regulär studierten Juristen der schlichte Hunger kein allzu greifbares Rechtsproblem.
Ob Ernst-Wolfgang Böckenförde, als er sein bis zur Erschöpfung zitiertes Wort von den Voraussetzungen des Staates formulierte, die dieser nicht selbst hervorbringen könne, auch an den gedeckten Tisch in der Gerichtskantine gedacht hat?
In seiner Dissertation "Die universelle Durchsetzung des Rechts auf Nahrung gegen transnationale Unternehmen" nimmt sich Ibrahim Kanalan einiger Rechtsfragen an, die unter Juristen kaum unpopulärer sein könnten. Gilt es doch als unfein, über Alternativen zur marktwirtschaftlichen Bedürfnisbefriedigung nachzudenken: Ist das Recht auf Nahrung ein positives Recht jedes Menschen? Aus welchen historischen Prozessen lässt sich erklären, dass zwar Staaten, nicht aber transnationale Unternehmen zu Adressaten völkerrechtlicher Ansprüche werden konnten?
In Kanalans Dissertation wird etwa der Zusammenhang zwischen der südafrikanischen Rechtsprechung zum Recht auf Trinkwasser – 50 Liter, 42 Liter oder abstrakte Gewährleistungspflicht des Staates – und der deutschen Rechtsprechung in Sachen Existenzminium sowie zur Durchsetzung der sozialen Menschenrechte allgemein hergestellt.
Seit der Tatbestand des "Mundraubs" gestrichen wurde, reibt sich der juristische Alltagspositivismus selten an so unmöglichen Fragen wie jener, ob der Mensch ein Recht hat, nicht zu hungern. Es ist selten, dass das liberale Marktmodell im juristischen Wissenschaftsbetrieb so klar in Frage gestellt wird. Vielleicht nicht die richtigen Antworten, aber interessante Fragen enthält:
Ibrahim Kanalan: "Die universelle Durchsetzung des Rechts auf Nahrung gegen transnationale Unternehmen". Dissertation Universität Bremen 2014, Tübingen (Mohr Siebeck) 2015.
Martin Rath, Aktuelle rechtswissenschaftliche Dissertationen: . In: Legal Tribune Online, 06.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18689 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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