Mit deutlicher Mehrheit distanzierte sich vorige Woche die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer auf ihrer Mitgliederversammlung von ihrem Rechtsaußen-Mitglied Ulrich Vosgerau. Christian Rath beschreibt, wie es dazu kam, und ordnet ein.
Die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer (VDStRL) galt jahrzehntelang als Hort des knorrigen Konservatismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg behandelte man NS-belastete Professoren mit Nachsicht, schon weil ihr Anteil so groß war. Dagegen wurden Ö-Rechtler aus der dezidiert linken Universität Bremen gar nicht aufgenommen.
Seit den 1990er-Jahren hatten freilich die Liberalen auch in der VDStRL die Oberhand. Als Wendepunkt galt der Konflikt um die Aufnahme des Privatdozenten Volker Neumann im Jahr 1992. Dieser hatte während der Studentenproteste 1968 als Vertreter der Basisgruppe Jura den konservativen Professor Hans Schneider am Betreten eines Hörsaals gehindert. Rund zweieinhalb Jahrzehnte später war Neumann promoviert und habilitiert. Schneider und 48 weitere Professoren erhoben jedoch Einspruch gegen Neumanns Aufnahme in die VDStRL, weil er einst die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre bekämpft habe. Es kam zur Abstimmung auf der Mitgliederversammlung, bei der Neumann mit 87 zu 61 Stimmen aufgenommen wurde.
Die VDStRL führt jährlich eine Fachtagung mit je zwei wissenschaftlichen Referaten zum Verfassungs- und Verwaltungsrecht durch. Die Tagungen sind nicht öffentlich, aber die Referate werden in Tagungsbänden (VVDStRL) publiziert, wobei traditionell die Fußnoten den meisten Raum einnehmen.
Der AfD-nahe Ulrich Vosgerau
Inzwischen hat die VDStRL rund 800 Mitglieder. In der Regel werden Ö-Rechtler nach der Habilitation auf Antrag der Kolleg:innen des Fachbereichs beziehungsweise der Fakultät aufgenommen.
Eines der Mitglieder ist Ulrich Vosgerau. Er hatte 2015 im Zusammenhang mit Kanzlerin Merkels Flüchtlingspolitik den Begriff "Herrschaft des Unrechts" geprägt, den dann Innenminister Horst Seehofer bekannt machte. In der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung engagierte sich Vosgerau als stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums. Immer wieder berät und vertritt Vosgerau die AfD bei Klagen am Bundesverfassungsgericht, zuletzt in den Verfahren um parteinahe Stiftungen (AZ. 2 BvE 3/19) und um die Parteifinanzierung (Az. 2 BvE 5/18). Den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke vertrat er in diesem Jahr vor dem Landgericht Halle, als dieser wegen Verwendung von NS-Kennzeichen angeklagt und verurteilt wurde.
Ende November 2023 nahm Vosgerau am Treffen des "Düsseldorfer Forums" um den rechtsextremistischen Zahnarzt Gernot Mörig in Potsdam teil, bei dem unter anderem der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner seinen Remigrations-Plan vorstellte. Vosgerau selbst sprach über Probleme der Briefwahl. Als die Plattform Correctiv im Januar 2024 über das Potsdamer Treffen berichtete, geriet auch Vosgerau öffentlich unter Druck.
Die Universität zu Köln, wo Vosgerau als Privatdozent geführt wurde, prüfte, ihm den Titel zu entziehen. Im Mai wurde jedoch verkündet, dass er seinen Titel behalten darf. Inzwischen hat Vosgerau im Oktober seine Lehrbefugnis an der Kölner Uni selbst niedergelegt. Aufgrund seines beruflichen Erfolgs als Anwalt, Publizist und Vortragsredner habe er keine Zeit mehr für Hochschullehre, so die Begründung. Er war schon seit 2018 von der Lehrverpflichtung beurlaubt.
Vosgerau ist auch Mitglied der CDU. Nach dem Bekanntwerden seiner Beteiligung am Potsdamer Treffen gab es Medienberichte über ein Parteiausschlussverfahren, denen Vosgerau mit seinen Anwälten jedoch entgegentrat. Er habe in der CDU "Fehlvorstellungen" zu dem Treffen ausräumen können. Gemeint ist damit wohl, dass beim Potsdamer Treffen nicht über die rechtliche "Ausweisung" von Deutschen mit Migrationshintergrund gesprochen wurde, worauf Vosgerau regelmäßig hinweist (sondern eher über eine Art der Vertreibung).
Ausschluss aus der VDStRL?
Schon am Tag nach der Correctiv-Veröffentlichung stellten 20 Mitglieder der Vereinigung – von Jelena von Achenbach bis Christian Waldhoff – den Antrag, Vosgerau aus der VDStRL auszuschließen. "Mit der Teilnahme an besagter Veranstaltung geht es aber nun nicht mehr darum, was Herr Dr. Vosgerau gesagt und geschrieben hat, sondern darum, was er tut", hieß es in dem Antrag.
In der VDStRL-Satzung heißt es in § 10 Abs. 4 S. 1: "Ein Mitglied kann durch Beschluss des Vorstandes aus dem Verein ausgeschlossen werden, wenn es in grober Weise gegen die Vereinsinteressen verstoßen hat." Darauf beriefen sich die Antragssteller im Fall von Ulrich Vosgerau.
Der VDStRL-Vorstand um den Vorsitzenden Martin Nettesheim ließ sich mündlich von der Berliner Kanzlei Raue beraten und kam zum Schluss, dass wohl keine Möglichkeit bestehe, Vosgerau einen groben Verstoß gegen Vereinsinteressen nachzuweisen. Es gab auch noch nie einen VDStRL-Ausschluss aus diesem Grund.
Für Nettesheim dürfte die Frage besonders heikel gewesen sein. Schließlich war er Gründungsmitglied des konservativen Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, das sich nach eigener Darstellung für ein "freiheitliches Wissenschaftsklima" einsetzt.
Daraufhin wurde der Ausschlussantrag von den Antragssteller:innen in einen Missbilligungsantrag geändert. Erneut beriet der VDStRL-Vorstand und hörte im Juni auch Vosgerau an. Aber der VDStRL-Vorstand kam wieder zu einer ablehnenden Position, denn in der VDStRL-Satzung sei die Missbilligung des Verhaltens von Mitgliedern nicht geregelt. Vosgerau hatte angedroht, er werde gegen eine Mißbilligung klagen.
Der Distanzierungsantrag
Doch die Antragssteller gaben nicht auf. Am 25. September stellten sie einen dritten Antrag. Nun ging es um eine Distanzierung der VDStRL von Vosgerau. Der recht kurze Antrag lautet wie folgt:
"Als Mitglieder der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer beantragen wir, dass die Mitgliederversammlung auf der Jahrestagung der Vereinigung in Luzern folgenden Beschluss fassen möge:
Nach unserer Überzeugung hat sich Ulrich Vosgerau in den letzten Jahren zunehmend als Begleiter rechtsextremer Kräfte in Verfassungsfragen gezeigt. In dieser Rolle hat er an dem Treffen des 'Düsseldorfer Forums' am 25. November 2023 in Potsdam teilgenommen, zu dem auch der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner als Redner eingeladen war.
Wir distanzieren uns davon, dass ein Mitglied der Staatsrechtslehrervereinigung seine Expertise jenen Kräften zur Verfügung stellt, die dieses Wissen dazu nutzen, die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung im rechtsextremen Sinne zu unterminieren."
Unterzeichnet wurde dieser Antrag von acht Rechtsprofessor:innen: Jelena von Achenbach, Gabriele Britz, Pascale Cancik, Klaus Ferdinand Gärditz, Matthias Jestaedt, Florian Meinel, Christoph Möllers und Christoph Schönberger.
Ein Dreivierteljahr lang lief das gesamte Verfahren nicht-öffentlich ab. Erst Ende September berichtete Jochen Zenthöfer in der FAZ über den Distanzierungsantrag.*
In der FAZ wurde auch Vosgeraus Reaktion dargestellt: "Die Antragsteller sind in meinen Augen Idioten, die um jeden Preis den 'Kampf gegen Rechts' nun auch in die bislang unabhängige, überparteiliche und nur der Wissenschaftsfreiheit verpflichteten Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer tragen wollen."
Auf Linkedin mokierte sich Rechtsprofessor Holm Putzke, dass der Distanzierungsantrag nur sehr wenig zur Begründung enthielt. "Was genau hat Vosgerau denn konkret wem wann zur Verfügung gestellt, das zum einen geeignet war und zum anderen dazu genutzt wurde, die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung im rechtsextremen Sinne zu unterminieren?", fragte Putzke.
Doch bis zur Mitgliederversammlung hatten schon über hundert Mitglieder, signalisiert, dass sie den Distanzierungsantrag unterstützen.
Der Beschluss von Luzern
Die 83. Jahrestagung der VDStRL fand vom 9. bis 11. Oktober 2024 an der Universität Luzern statt. Die Mitgliederversammlung war für den Nachmittag des ersten Tags terminiert. Rund 230 Mitglieder nahmen teil.
Vosgerau war nicht gekommen. Er habe in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt an einem wichtigen Meeting mit Mandanten teilnehmen müssen, ließ sein Anwalt Carsten Brennecke (Höcker Rechtsanwälte) ausrichten. Vosgerau war allerdings auch in den Jahren zuvor bei den Jahrestagungen kaum noch anwesend.
Nach Darstellung aus Teilnehmerkreisen verlief die Diskussion durchaus lebhaft. Inhaltlich verteidigte niemand Vosgerau, umstritten war aber, ob und warum die Vereinigung hierzu Stellung nehmen soll. Manche fürchteten, dass die VDStRL sich nun regelmäßig von Positionen und Handlungen einzelner Mitglieder distanzieren soll. In der Diskussion ging es allerdings nur um Vosgerau, nicht um andere Mitglieder wie Dietrich Murswiek, der auch schon Gutachten für die AfD erstellt hat, oder Michael Elicker, der die AfD zuletzt im BVerfG-Verfahren um Ausschussvorsitzende (2 BvE 10/21) vertrat.
Klar war in der Diskussion, dass eine anwaltliche Vertretung von Rechtsextremisten vor einem Strafgericht kein Problem sei. Hier brauche jeder Beistand, unabhängig von der politischen Einstellung oder Aktivität. Doch schon über die Frage, ob eine Vertretung der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht bedenklich ist, wurde kaum angesprochen. Systematische Kriterien wurden wohl nicht entwickelt. Im Fall Vosgerau stand ganz die Teilnahme an dem strategischen Potsdamer Treffen mit Rechtsextremisten im Vordergrund.
Am Ende wurde in Luzern über zwei Fragen abgestimmt. Bei der Frage, ob die VDStRL-Mitgliederversammlung überhaupt die Kompetenz hat, einen derartigen Distanzierungsbeschluss zu treffen, gab es rund 90 Gegenstimmen. Manche sahen gar kein Mandat der Vereinigung, andere hielten den Vorstand für das zuständige Organ.
Dem Distanzierungsantrag stimmten dann laut table media 132 Mitglieder zu, bei 73 Gegenstimmen und 23 Enthaltungen. Die Debatte und der Beschluss scheinen eher der Selbstvergewisserung als der Außendarstellung gedient zu haben. Auf der Webseite der VDStRL ist der Beschluss jedenfalls nicht zu finden.
Wie geht es weiter?
Im Vorfeld der Luzerner Tagung hatte Vosgerau noch gegenüber der FAZ gemahnt: "Wir gehen daher nun auf gerichtliche Auseinandersetzungen zu, die wir durch Öffentlichkeitsarbeit begleiten werden und bei denen die Staatsrechtslehrervereinigung nur verlieren kann, weil sie am Ende dieser Auseinandersetzungen eben nicht mehr als überparteiliche, nur der Wissenschaft verpflichtete Institution gelten können."
Nach der Tagung äußerte sich Vosgeraus Anwalt Brennecke auf LTO-Anfrage zurückhaltend: "Es wäre völlig unseriös, zum jetzigen Zeitpunkt, in dem noch nicht einmal der Beschluss und das Protokoll im Wortlaut vorliegen, zu einem weiteren Vorgehen Stellung zu nehmen."
Zwei Tage vor der Mitgliederversammlung hatte Brennecke in einem Schreiben an den VDStRL-Vorstand jedoch bereits die wesentlichen Argumente für einen eventuellen Rechtsstreit genannt.
Der Distanzierungsbeschluss habe Sanktionscharakter. In der Satzung fehle es aber an einer Grundlage für eine derartige Maßnahme. Unabhängig davon sei aber auch kein Sanktionierungsgrund erkennbar, so Brennecke. Es sei vollkommen unklar, durch welches konkrete Verhalten Vosgerau gegen die Vereinsinteressen verstoßen haben soll. Ausdrücklich heißt es in dem Anwaltsschreiben: "Es ist erschreckend festzustellen, wie hier eine juristische Fachgesellschaft auf dem Niveau eines Taubenzüchtervereins herumdilettiert."
Ganz konkret kündigte Anwalt Brennecke am 7. Oktober an: "Unser Mandant wird gegen Rechtsverletzungen rigoros vorgehen." Er werde nicht nur die Wirksamkeit des Beschlusses angreifen, sondern auch Folgenbeseitigungsansprüche sowie Schadensersatz- und Geldentschädigungsansprüche geltend machen.
Unabhängig von einem möglichen Gerichtsverfahren dürfte auch in der VDStRL die Diskussion weitergehen. Mehrfach wurde in Luzern eine Satzungsänderung gefordert, um für solche Konflikte künftig besser gewappnet zu sein. Ob der VDStRL-Vorstand nun Vorschläge machen wird, wollte der Vorsitzende Nettesheim auf LTO-Anfrage nicht sagen. Fragen, die den vereinsinternen Willensbildungsprozess betreffen, wolle er nicht öffentlich erörtern.
Anmerkung der Redaktion: Passage wurde am 19.10.2024, 8:45 Uhr, präzisiert.
Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55668 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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