Sieben spannende Jura-Dissertationen: Men­schen­f­leisch­suche und Whist­le­b­lower-Recht

von Martin Rath

15.05.2016

Dass rechtswissenschaftliche Literatur mit der Leichtigkeit eines erzählenden Sachbuchs oder eines gut getrimmten Romans daherkommen kann, erfahren Juristinnen und Juristen viel zu selten. Die "Einführung in die Rechtsvergleichung" von Konrad Zweigert und Hein Kötz (3. Auflage, 1996) war ein solches Werk, das jedenfalls erzählerisch befriedigte.

Gemessen daran sind spätere Abhandlungen im Bereich der Rechtsverleichung mitunter weniger elegant, dafür aber im methodischen Zugriff auf ihren Gegenstand anspruchsvoller. Ein Beispiel hierfür gibt Christian Stempel mit seiner 2015 vorgelegen Dissertation "Treu und Glauben im Unionsprivatrecht".

Seit Bernd Rüthers’ berühmter Habilitationsschrift aus dem Jahr 1968, "Die unbegrenzte Auslegung – Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus", waren die Generalklauseln des deutschen Zivilrechts, insbesondere jene von Treu und Glauben, auch einem breiteren Publikum als Einfallstor für unterschiedlichste weltanschauliche Überzeugungen bekannt. Nach 1933 wurde das Parteiprogramm der NSDAP über die Generalklauseln Quelle zivilrechtlicher Auslegungskünste, nach 1949 trat die Drittwirkung der Grundrechte auf diesem Weg ins Leben des deutschen Ziviljuristen.

Bei Christian Stempel lernen wir Treu und Glauben nun von einer viel bescheideneren Seite kennen, als Rechtsfigur, die im relativen Durcheinander des Zivilrechts der Europäischen Union erst noch Gestalt annehmen will.

Als weltanschauliches Steuerungsinstrument im Unionsprivatrecht kommen Treu und Glauben hier wohl schon deshalb nicht in Betracht, weil das europäische Privatrecht allzu unsystematisch, vom umfassenden Zugriff klassischer nationalstaatlicher Kodifikationen noch weit entfernt ist.

Für einen Zugriff auf eben dieses unsystematische europäische Zivilrecht ist die Doktorarbeit von Stempel aber vielleicht für jene Juristen interessant, die beim üblichen Zugang über Kommentar- und Einführungsliteratur schnell ermüden: Stempel bietet eine systematische Darstellung eines wichtigen Konzepts einer noch unsystematischen Rechtsordnung. Es gibt schlechtere Wege, zu Ordnung im Kopf zu kommen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Sieben spannende Jura-Dissertationen: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19379 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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