Sollte man kennen: Acht wich­tige EuGH-Ent­schei­dungen 2023

von Dr. Max Kolter

03.01.2024

Dieselgate-Haftung II: kein doppeltes Bußgeld für VW

Dass VW, Mercedes und andere Hersteller in vielen Diesel-Modellen serienmäßig unzulässige Abschalteinrichtungen verbauten, verletzte nicht nur europäisches Sekundärrecht*. Es zerstörte auch das Vertrauen der Käufer, täuschte Aufsichtsbehörden und schadete Umwelt und Klima. Die rechtliche Konsequenz: Die Hersteller müssen nicht nur den Autokäufern Schadensersatz leisten, sondern auch Bußgelder an den Staat zahlen.

Aber geht das zweimal wegen derselben unerlaubten Handlung, also zweimal in derselben Sache? Nein, sagte der EuGH im Herbst zugunsten von VW (Urt. v. 14.09.2023, Az. C-27/22).

Das Unternehmen war von Italien und Deutschland doppelt zur Kasse gebeten worden: Die italienische Wettbewerbsbehörde forderte 2016 fünf Millionen Euro für das Inverkehrbringen der mit der manipulierten Schadstoffsoftware ausgestatteten Fahrzeuge. Gegen diese Entscheidung ging VW vor dem regionalen Verwaltungsgericht vor. Währenddessen kassierte der Hersteller auch in Deutschland einen Bußgeldbescheid in Höhe von einer Milliarde Euro, ebenfalls wegen des Einbaus und Inverkehrbringens der Schadstoff-Software. VW zahlte in Deutschland, ohne den hiesigen Bescheid anzufechten, hielt aber den italienischen Bescheid wegen Verstoßes gegen das in Art. 50 der EU-Grundrechte-Charta (GRCh) verankerte Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) für rechtswidrig. Nur: Gilt dieser strafprozessuale Grundsatz auch im Verwaltungsrecht?

Ja, antwortete der EuGH auf die entsprechende Vorlagefrage des italienischen Staatsrats (Consiglio di Stato). Geldbußen seien strafrechtlicher Natur und Art. 50 GRCh daher anwendbar. Dass der italienische Bescheid vor dem deutschen ergangen war, spielt laut EuGH keine Rolle. Entscheidend sei nur, welcher Bescheid zuerst rechtskräftig geworden sei, denn damit sei das Verfahren dort unanfechtbar abgeschlossen. Dass VW die Geldbuße in Deutschland anstandslos gezahlt hat, hat somit den italienischen Bescheid nachträglich rechtswidrig werden lassen. Gut zu wissen! 

Auch im nächsten Urteil geht es um ein Bußgeld gegen ein deutsches Unternehmen, den Vermieter mit den meisten Mietern hierzulande: Deutsche Wohnen.

* Das betrifft u.a. die EG-Verordnung 715/2007 über die Typgenehmigung von Fahrzeugen. Diese war hier zunächst als EG-FGV abgekürzt. Das war missverständlich, weil auch eine deutsche Rechtsverordnung zur Umsetzung der EG-Regelungen diese Abkürzung trägt. Geändert auf Leserhinweis am 04.01.2023, 11:20 Uhr (Red.).

Zitiervorschlag

Sollte man kennen: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53541 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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