Dieselgate-Haftung I: BGH muss bei Thermofenstern nachjustieren
Das Thema Abschalteinrichtungen hat die nationalen Gerichte und den EuGH in den vergangenen Jahren häufiger beschäftigt; das Oberlandesgericht Stuttgart arbeitet mittlerweile sogar mit Künstlicher Intelligenz, um der Klageflut gegen Mercedes Herr zu werden.
Viele zentrale Rechtsfragen der Herstellerhaftung sind inzwischen geklärt. So haftet VW gegenüber Autokäufern für seine berüchtigte Abschalteinrichtung mit Prüfstandserkennung wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Für sog. Thermofenster hingegen sind diese Voraussetzungen nach einem BGH-Urteil von 2021 nicht gegeben. Ob Thermofenster illegale Abschalteinrichtungen sind, sei so unklar gewesen – der EuGH bejahte dies 2022 aber schließlich –, dass dem Hersteller nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden könne. Und der reicht eben nicht für § 826 BGB. Anders bei § 823 Abs. 2 BGB, der Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes. Hier stellt sich aber die Frage: Sind die einschlägigen EU-Regelungen* über die Genehmigung von Kraftfahrzeugen "Schutzgesetze", d.h. bezwecken sie den Schutz des Vermögens der Fahrzeugkäufer?
Das hielt der BGH 2021 für so abwegig, dass er den Fall nicht dem EuGH vorlegte, obwohl es um die Auslegung von Unionsrecht geht. Für den dortigen Fahrzeugkäufer niederschmetternd: Er bekam kein Geld vom Hersteller und musste auch noch die Gerichtskosten für drei Instanzen zahlen.
Auf anderem Weg – durch eine Vorlage des Landgerichts Ravensburg – gelangte die Rechtsfrage doch noch nach Luxemburg. Hier entschieden die EuGH-Richter im März, dass die einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften* sehr wohl Individualschutz zugunsten der Käufer bezwecken (Urt. v. 21.03.2023, Az. C-100/21). Wie der BGH in einem weiteren Haftungsfall auf dieses Urteil reagiert hat, können Sie in unserem BGH-Jahresrückblick 2023 nachlesen.
Dafür, dass VW Diesel-Fahrzeuge mit illegalen Abschalteinrichtungen in Verkehr gebracht hat, haftet das Unternehmen nicht nur zivilrechtlich. Vielmehr zieht der Abgasskandal auch verwaltungsrechtliche Konsequenzen, nämlich Bußgelder, nach sich. Auch dazu hat der EuGH 2023 wichtige Entscheidungen gefällt.
* Das betrifft u.a. die EG-Verordnung 715/2007 über die Typgenehmigung von Fahrzeugen. Diese war hier zunächst als EG-FGV abgekürzt. Das war missverständlich, weil auch eine deutsche Rechtsverordnung zur Umsetzung der EG-Regelungen diese Abkürzung trägt. Geändert auf Leserhinweis am 04.01.2023, 11:20 Uhr (Red.).
Sollte man kennen: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53541 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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