Sollte man kennen: Acht wich­tige EuGH-Ent­schei­dungen 2023

von Dr. Max Kolter

03.01.2024

Polens Justizreform, die Zukunft des europäischen Vereinsfußballs und der Datenschutz von Mietern und Facebook-Usern – all das lag 2023 in den Händen des EuGH. Was er entschieden hat und wie er seinen Workload künftig reduzieren will.

Polens "Maulkorbgesetz" nicht rechtsstaatlich

Polen hat im Oktober 2023 neu gewählt. Die nationalkonservative PiS-Partei wurde zwar stärkste Kraft, fand aber keine mehrheitsfähige Regierungskoalition. De-facto-Wahlsieger ist damit Donald Tusk, der seit Mitte Dezember eine pro-europäische Regierung aus seiner Bürgerkoalition, Drittem Weg und Linke leitet. Polen solle ein Anführer innerhalb der EU werden, sagte Tusk kurz vor seiner Vereidigung als Ministerpräsident im Parlament. Um in Brüssel mit gutem Beispiel voranzugehen, muss Warschau den Blick aber zunächst nach innen richten und die Justizreformen der PiS-Regierung korrigieren.

Wegen dieser hatte die Kommission Polen in mehreren Verfahren wegen Verletzung der Europäischen Verträge verklagt, gleich mehrfach hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) der PiS-Regierung daraufhin auf die Finger geklopft. Er hatte 2021 etwa in einem System zur Disziplinierung von Richtern durch eine Disziplinarkammer einen Verstoß gegen Unionsrecht gesehen.

Die PiS-Regierung reagierte – wenn auch erst nach einer Zwangsgeld-Anordnung durch den EuGH und einer Auszahlungssperre für Corona-Hilfen –, andere Reformelemente blieben aber in Kraft. Zum Beispiel ein Gesetz, das die (damalige) Opposition "Maulkorbgesetz" nannte. Dieses erklärte der EuGH im Juni für unionsrechtswidrig (Urt. v. 05.06.2023, Az. C-204/21).

Das Gesetz hatte polnischen Gerichten untersagt, die Unabhängigkeit anderer polnischer Richter zu überprüfen. Die ausschließliche Zuständigkeit für diese Prüfung wurde einer Kontrollkammer am Obersten Gericht übertragen. Hintergrund war, dass die Regierung in den ersten Justizreformen zahlreiche neue Richter über den von ihr kontrollierten Landesjustizrat ernannt hatte. Das "Maulkorbgesetz" sollte nun verhindern, dass die "alten" Richter die "neuen" auf ihre Unabhängigkeit überprüfen können. Für den Fall, dass sie dies doch täten oder die Frage dem EuGH vorlegten, sah das Gesetz ein Verfahren vor der Disziplinarkammer vor, die der EuGH 2021 beanstandet hatte. Diese Rechtsprechung führten die Luxemburger Richter nun fort. Allein die Aussicht auf Disziplinarstrafen bei Anwendung von Unionsrecht gefährde die richterliche Unabhängigkeit.

Mit dem Urteil vom Juni 2023 ist der Streit zwischen Kommission und Polen nicht zu Ende. Das eine oder andere beim EuGH zur Justizreform noch anhängige Verfahren könnte sich erledigen, soweit Tusk den angekündigten Plan zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit umsetzt und die Reformen rückgängig macht. Inwiefern das möglich und realistisch ist, haben David Gregosz und Thomas Behrens für LTO aus politikwissenschaftlicher Sicht analysiert – ihr Fazit: "Eine Umsetzung rascher, tiefgreifender Reformen ist nicht absehbar."

Auch wenn Richtern in Deutschland kein Disziplinarverfahren droht, wenn sie den EuGH um Hilfe bitten, kommt es vor, dass ein Gericht eine Rechtsfrage entscheidet, die es eigentlich dem EuGH hätte vorlegen müssen. Das passiert auch dem höchsten deutschen Zivilgericht – wie 2021 im Zusammenhang mit der Haftung von VW, Mercedes & Co. für illegale Abschalteinrichtungen. Dafür lässt der EuGH Karlsruhe nun nachsitzen.

Zitiervorschlag

Sollte man kennen: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53541 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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