Gesellschaftssteuerung über den Gerichtshof?
Bis jetzt kam Oliver Wendell Holmes jr. hier nicht sehr gut weg. Doch sein guter Nach-Ruf kommt nicht von ungefähr. Er gründet u.a. auf seiner abweichenden Meinung im Fall des New Yorker Bäckerei-Betreibers Joseph Lochner, der 1897 zu einer Geldstrafe von 25 Dollar verurteilt wurde, weil er gegen das Verbot verstoßen hatte, einen Arbeitnehmer mehr als zehn Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche zu beschäftigen.
Den zunächst angeblich nur für Afroamerikaner (und nicht für Frauen) geschaffenen 14. Verfassungszusatz, wonach der Eingriff in Rechte eines fairen und vernünftigen Verfahrens bedürfe, reicherte die Mehrheit des U.S. Supreme Courts nun um eine radikal verstandene Vertragsfreiheit an. Hier jedenfalls seien die regulativen Mittel der Polizeigewalt unangebracht und überzogen worden. Aus Holmes' abweichender Meinung wurde der Satz berühmt, dass der 14. Verfassungszusatz nicht die – sozialdarwinistisch-liberale – Lehre des britischen Philosophen Herbert Spencer effektuiere.
Und darüber, ob die Gesellschaft ihre Zivilrechtsordnung nach sozialstaatlichen oder radikal liberalen Vorstellungen tanzen lässt, entscheiden neun, teils uralte Menschen? Ob das einmal ein sinnvolles Verfassungsmodell ist?
Lochner v. New York, 198 US 45 (1905)
Martin Rath, Kritische Urteile des US-Bundesgerichts: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21200 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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