Mit einem Antrag will Donald Trump den letzten Strafprozess beenden, der ihm noch gefährlich werden könnte. Warum ein Rechtsgutachten und ein Supreme-Court-Urteil ihn bestärken dürften, erklärt Philippe Matthew Roy im Interview.
LTO: Der Wahlerfolg Donald Trumps und seine zweite Amtszeit werden Folgen für die laufenden Strafverfahren gegen ihn haben. In einem ersten Verfahren wegen Wahlbetrugs hat die Richterin Termine gestrichen. Am Dienstag will ein New Yorker Gericht über einen weiteren Fall entscheiden. Was droht Trump noch?
Dr. Philippe M. Roy: Es sind mehrere Strafverfahren gegen Donald Trump anhängig. Im Rahmen des Strafverfahrens in New York ging es um die Vertuschung von Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin, genauer gesagt um die Verfälschung von Geschäftsunterlagen – eine Straftat im Bundesstaat New York. Dafür wurde Donald Trump bereits schuldig gesprochen. Die Verkündung des Strafmaßes soll am 26.November stattfinden.
Nun wollen Trump und seine Anwälte mit einem Antrag auch diesen Fall auf Eis legen lassen, der Trump noch vor seiner Ernennung gefährlich werden könnte. Wie stehen da die Chancen?
Der Supreme Court hat entschieden, dass die Strafverfolgung eines Präsidenten nur dann verfassungskonform wäre, wenn die zu ahndenden Straftaten nicht im Rahmen seiner amtlichen Handlungen begangen worden sind. Trump müsste behaupten, dass seine Handlungen in Bezug auf die Schweigegeldzahlungen und die anschließende Verfälschung seiner Geschäftsunterlagen im Rahmen einer Amtshandlung erfolgt wären, was in diesem Fall sehr zu bezweifeln ist.
Wie geht es weiter, wenn das Gericht also doch das Strafmaß zu seinem Urteil verkündet? Zu erwarten wäre ja eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Falls das Gericht in New York die Verkündung des Strafmaßes doch am 26. November vornimmt, würde das Gericht eine eventuelle Freiheitsstrafe höchstwahrscheinlich "suspendieren", also vorübergehend aussetzen bis zum Ende der Amtszeit. Der Fall ist beispiellos und in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Deswegen müsste in die Entscheidung des Gerichts ein ordentliches Maß an gesundem Menschenverstand mit einfließen. Trump steht ja nicht über dem Recht, er vereinigte aber auch in dieser Wahl 72,5 Millionen Stimmen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger auf sich für das höchste Amt des Landes. Diesen Fakt wird das Gericht sicherlich nicht außer Acht lassen.
Was ist mit den übrigen Strafverfahren gegen ihn, etwa zum Sturm auf das Kapitol oder die Mitnahme von Geheimunterlagen?
Auch alle weiteren Strafverfahren gegen Trump müssten vorübergehend auf Eis gelegt werden.
Wo ist geregelt, dass Strafverfahren gegen amtierende US-Präsidenten ausgesetzt werden?
Laut einem Rechtsgutachten des US-Bundesjustizministeriums aus dem Jahr 1973 kann ein amtierender Präsident nicht strafrechtlich verfolgt werden. Diese Meinung wurde im Jahr 2000 durch ein weiteres Rechtsgutachten des Ministeriums bestätigt. Der Supreme Court hat in seinem Urteil Trump v. United States im Juli 2024 zwar das neuere Gutachten zitiert, hat aber die Frage unbeantwortet gelassen, weil das im Streit um die Immunität eines Ex-Präsidenten unerheblich sei. Der Supreme Court meinte, es stehe einer Strafverfolgung eines amtierenden Präsidenten wegen inoffizieller Handlungen nichts im Wege. Laut Artikel II, Abschnitt 3 der US-Verfassung müsste allerdings die Ausübung der Befugnisse des Amtes Vorrang vor der Verbüßung etwa einer Freiheitsstrafe haben.
Trump muss sich also selbst gar nicht mehr begnadigen?
Am Lehrstuhl für US-amerikanisches Recht vertreten wir die Auffassung, dass der Präsident sich selbst nicht begnadigen kann. Ohnehin würde diese Befugnis in anderen Fällen für einen Präsidenten auch nur im Fall einer Verurteilung durch ein Gericht auf Bundesebene bestehen. Dementsprechend kann nicht einmal Joe Biden Donald Trump für seine Verurteilung durch ein Gericht im Bundesstaat New York begnadigen.
Der US-Sonderermittler Jack Smith hat Trump wegen des Angriffs aufs US-Kapitol und der Geheimdokumente angeklagt, die er aus Washington hatte mitgehen lassen und in seinem Privatklub Mar-a-Lago in Florida lagerte. Kann Trump als neuer Präsident, wie von ihm angekündigt, Smith "within two seconds" rauswerfen?
Nein. Denn laut den Regularien der Bundesjustizbehörde darf nur der Attorney General den Chefermittler kündigen. Es liegt allerdings auf der Hand, dass Trump die Ernennung eines Kandidaten für den Posten des Attorney Generals mit dem Versprechen koppeln würde, Smith zu entlassen.
Die Ernennung des Attorney Generals könnte dadurch im Senat schwierig werden und dazu führen, dass die Demokraten die Kandidatin oder den Kandidaten hierzu heftig befragen mit dem Ziel, das Bewilligungsverfahren im Senat in die Länge zu ziehen. Die Republikaner werden aber die Mehrheit im Senat stellen. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass der Kandidat oder die Kandidatin für das Amt des Attorney General letztendlich die Mehrheit der Stimmen im Senat auf sich vereinigen würde.
Offenbar erwägt Smith, sein Material in einem Sonderbericht zu veröffentlichen, bevor er gefeuert werden könnte.
Sofern es sich nicht um Unterlagen handelt, die entweder Anwaltsgeheimnis unterliegen oder klassifiziert sind, sehe ich darin kein Problem.
"Trump könnte noch weitere Supreme-Court-Richter ernennen"
Welche Bedeutung hat der erneute Erfolg Trumps für die Zukunft des US-Supreme Court?
Es ist durchaus denkbar, dass Trump die Gelegenheit haben wird, noch einen oder mehrere Richter zum Supreme Court zu ernennen. Denn zwei aktuell amtierende Richter, Thomas und Alito, werden das Alter von 77 Beziehungsweise 75 bis dahin erreicht haben und sich möglicherweise veranlasst sehen, ihre Posten während der Amtszeit von Trump zu räumen. Was die Umsetzung seiner Politik und seiner Weltanschauung betrifft, hat Trump wohl den größten Erfolg in seiner ersten Amtszeit beim Supreme Court erreicht. Eine Richterin und zwei Richter des Supreme Court wurden auf Vorschlag von Donald Trump in seiner ersten Amtszeit in ihr Amt eingesetzt. Diese Richterin und Richter haben sodann eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung wichtiger Wahlversprechen von Donald Trump gegenüber seinen Anhängern gespielt, etwa die Entscheidung im Supreme-Court-Fall Dobbs, welche das Urteil zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch aufgehoben hat.
Welche Rolle wird der Supreme Court in der nächsten Amtszeit Trumps spielen?
Trump wird des Weiteren bemüht sein, konservative Richterinnen und Richter zu befördern, die unter anderem den Kernanliegen konservativer Rechtspolitik weiter Rechnung tragen werden. Dazu dürfte beispielsweise die schrittmäßige Aushöhlung des administrativen Apparates der Bundesbehörden oder der Abbau der ständigen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung des Supreme Court, insbesondere die Rechtsprechung zu umstrittenen sozial- und kulturpolitischen Themen gehören. Was das für die Zukunft des Supreme Courts bedeutet: Das Gericht wird zunehmend als politisches Organ wahrgenommen, das von Ideologen instrumentalisiert wird. Die Legitimität des Supreme Court steht auf dem Spiel.
"Verfassungsänderung für entgrenzte Präsidentschaft unwahrscheinlich"
Wie wichtig bleibt die Kontrolle durch die Instanzgerichte?
Auf die Juristinnen und Juristen des Landes lässt sich Hoffnung setzen. Die Gerichte haben während Trumps erster Amtszeit teilweise dafür gesorgt, dass das System der checks and balances, also die gegenseitige Kontrolle im Rahmen der Gewaltenteilung nicht ausgehöhlt wurde. Es gibt aber durchaus Schwachstellen. Eine bevorzugte Anlaufstelle für Klagen gegen die amtlichen Handlungen der Biden-Administration war das 5th Circuit Court of Appeals, ein Revisionsgericht auf Bundesebene in Texas. Dort sind konservative Richter eher geneigt gewesen, solchen Klagen stattzugeben beziehungsweise ein Urteil zu Gunsten konservativer Interessen zu erlassen. Viele dieser Urteile wurden jedoch letztendlich durch den Supreme Court aufgehoben, etwa 2023 das Mifepristone-Urteil zum Zugang zu einer Abtreibungspille.
Trump hatte mit einer Aussage im Januar 2024 für Aufsehen gesorgt, als er sagte, dass er "gute Chancen habe, für vier Jahre und darüber hinaus das Sagen zu haben." Könnte er auch für eine Präsidentschaft ohne zeitliches Limit sorgen, entgegen der Verfassung?
Nein. Dafür bedürfte es ganz eindeutig eines Verfassungszusatzes. Und es ist sehr zweifelhaft, dass er so ein Verfassungszusatz bewirken könnte. Es bräuchte dazu eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern. Daraufhin müssten drei Viertel der Staaten den Verfassungszusatz ratifizieren. Nach der 4. Amtszeit von Franklin Roosevelt wurde der 22. Verfassungszusatz innerhalb knapp 3 Jahre ratifiziert, einer Rekordzeit. Kurzum: Es hat sich meiner Einschätzung nach eher der gegenteilige Trend bemerkbar gemacht, nämlich dass die Bevölkerung Amtszeitbeschränkungen und nicht Verlängerungen für positiv hält – und zwar überparteilich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Philippe Matthew Roy ist seit 2020 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für US-Recht an der Universität Köln beschäftigt. Davor war er in New York und Connecticut in den Bereichen Zivilprozessrecht, Discovery und Steuerrecht tätig. Er ist Absolvent der Duquesne University School of Law.
Strafprozesse und Zukunft der US-Justiz: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55834 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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