6/10: 1968 - Die DDR bekommt ein StGB
Zumeist wird das Jahr 1968 mit dem Protest gegen die Notstandsgesetze im freien Teil Deutschlands in Verbindung gebracht.
Mit der Studentenbewegung verknüpft sind seither im 10-Jahres-Rhythmus nostalgische wie negative Einschätzungen, die ihrer historischen Bedeutung kaum gerecht werden, standen die Zeichen der Zeit doch auch ohne "Mao-Bibel" schwingende oder mit dem RAF-Terror sympathisierende Akademiker auf Liberalisierung und Sozialtechnologisierung – Unzucht und Teletex bei der Bundespost, wenn man so will.
Während sich Liberalisierung im Westen Deutschlands auch im Strafrecht abzeichnete, in der Abschaffung des Zuchthauses und der sozialpychiatrischen Bewegung, setzte sich auch die DDR ein neues Strafgesetzbuch. Wo im Westen der Nulla-poena-Satz bekräftigt wird, erklärte der DDR-Normsetzer:
"Artikel 1. Schutz und Sicherung der sozialistischen Staatsordnung und der sozialistischen Gesellschaft. Gemeinsames Interesse der sozialistischen Gesellschaft, ihres Staates und aller Bürger ist es, den zuverlässigen Schutz der Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik und der sozialistischen Errungenschaften, des friedlichen Lebens und der schöpferischen Arbeit der Menschen, der freien Entwicklung und der Rechte jedes Bürgers zu gewährleisten. […]"
Anders als dieser pathetische Schmalz oder die Biografien der DDR-Spitzenfunktionäre erwarten ließen, neigte man nicht dazu, alte sozialistische Reformbemühungen aus der Weimarer Zeit aufzugreifen. Bevor 1972 die alte Idee einer Fristenlösung ins Gesetz kam, blieb z.B. die sogenannte "Unterbrechung" der Schwangerschaft grundsätzlich pönalisiert.
Die Gleichstellung von Mann und Frau beförderte Artikel 151 DDR-StGB, indem auch homosexuelle Handlungen von Frauen unter Strafe gestellt wurden. Dies entsprach nicht der alten linken Forderung nach Abschaffung des § 175 Reichsstrafgesetzbuch.
Mit sogenanntem Rowdytum (Artikel 215) stellte die DDR typischerweise abweichendes Verhalten Jugendlicher unter Strafe – einer der wenigen originär stalinistischen Beiträge zur Strafrechtsgeschichte.
Die Stasi verletzte ungestraft und systematisch das Briefgeheimnis, Fluchthilfe wurde als Menschenhandel pönalisiert, die politische Strafjustiz konnte mit unscharfen Begriffen scharf operieren: DDR-Nostalgikern zur Lektüre empfohlen.
Martin Rath, 100 Jahre Rechts- und Justizgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 01.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26235 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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