100 Jahre Rechts- und Justizgeschichte: Ver­ges­sene Sta­tionen

von Martin Rath

01.01.2018

Bild: Philip Cohen, Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0, Zuschnitt und Skalierung durch LTO

10/10: 2008 - Palästina auf dem Weg in den Rechtsstaat

Jedes Jahr um die Weihnachtszeit fällt das besondere Interesse deutscher Medien für einen Staat am östlichen Mittelmeergestade auf. Trotz der lächerlichen Größe dieses Staats (mit dem Bundesland Hessen vergleichbar) werden dort angetroffene Rechtsverstöße mit einigem Eifer gemeldet. In der Saison 2017 berichtete der Deutschlandfunk zum Beispiel über eine Kompostierungsanlage in den israelisch besetzten Gebieten, die möglicherweise (!) emissionsrechtlich bedenklich sein könnte.

Es wirkt, als sei die israelische Besatzung das einzige Problem des palästinensischen Volkes, sogar in den nicht besetzten Gebietsteilen des Westjordanlands sowie im Gaza-Streifen.

Im Jahr 2008 fand eine "Berliner Konferenz zur Unterstützung der palästinensischen zivilen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit" statt, aus deren Anlass der damalige Bundesaußenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier u.a. erklären ließ – mit bemerkenswerter Reihenfolge:

"Ein Staat braucht nicht nur ein Staatsgebiet – er braucht insbesondere funktionierende Institutionen. Zu diesen gehören neben einem Parlament und einer Regierung auch gut ausgestattete Sicherheitsbehörden sowie eine unabhängige Justiz. Mit diesen Institutionen kann ein Staat Sicherheit und Ordnung durchsetzen – Grundvoraussetzungen für weitere Entwicklungen, sowohl politisch, aber auch wirtschaftlich."

Es fällt schwer, die Fortschritte dieses edlen Anliegens zu rekonstruieren. Im Vergleich wirken die Sendezeitverteilung für jüdische Komposthaufen (siehe oben) und die Entwicklung der palästinensischen Justiz jedenfalls eigenartig.

Die hier verborgene Ignoranz lässt sich auch kaum noch mit einem sarkastischen Schulterzucken abtun: Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit förderte beispielsweise die Europäische Union bereits vor dem sogenannten "Arabischen Frühling" einen Rechtsstaatsdiskurs mit den Maghrebstaaten.

Von europäischen Berufsträgern ernstgenommen, um berufsständische Ausbildungs- und Reisekontakte und steuerfinanzierten Austausch mit Richtern und (Kommunal-) Verwaltungsbeamten ergänzt, könnten und sollten die Mittelmeer-Anrainer eigentlich längst eine Spielwiese auch deutscher Juristen sein. Die Welt ist doch zu wichtig, um sie Schleppern und Internet-Trollen zu überlassen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, 100 Jahre Rechts- und Justizgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 01.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26235 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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