7/10: 1978 – Schwarzers Sexismus-Klage
Eine Mischung aus Politikberichterstattung und Pornografie kam in den 1970-er Jahren gut an. Namentlich die St. Pauli-Nachrichten des späteren "Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust und des mit einer Justizaffäre in Köln bekannt gewordenen Henryk M. Broder gaben ein prominentes Beispiel. Unter den bundesweit greifbaren Titeln perfektionierte Henri Nannens "Der Stern" den Satz, wonach semipornografisch aufbereitete Themen und Titelbilder dem Absatz helfen.
Nach einer Serie entsprechender "Stern"-Titel, darunter die vom Fotografen Helmut Newton (1920–2004) mit eher dezenten Bondage-Symbolen drapierte Sängerin Grace Jones, klagten Alice Schwarzer und ein von ihr organisierter Kreis engagierter Frauen vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung.
Dem "Stern" solle, gestützt auf §§ 823 Abs 1, 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 185 StGB, aufgegeben werden, es zu unterlassen, auf seinen Titelseiten Frauen als bloßes Sexualobjekt darzustellen und damit bei männlichen Betrachtern den Eindruck zu erwecken, "der Mann könne über die Frau beliebig verfügen und sie beherrschen".
Das Landgericht Hamburg wies die Klage ab (Urt. v. 26.7.1978, Az. 74 O 235/78). Unter anderem verfing die von den Klägerinnen angesonnene Gleichstellung von Frauen als kollektiv beleidigungsfähiger Gruppe mit den überlebenden Holocaust-Opfern in Deutschland nicht. Zugespitzt gesagt: Das #metoo des Jahres 1978 lief auf die Idee hinaus, die Gesamtheit aller Frauen in Deutschland dürfe sich durch Presse-Sexismen so herabgewürdigt sehen wie jüdische Deutsche von Holocaust-Leugnern.
Weitere Anläufe, ein Kollektiv-Klagerecht gegen pornografische Darstellungen zu etablieren, startete Schwarzer 1987 mit der "PorNO"-Kampagne und 1998 mit einer Initiative von Bundestagsabgeordneten, jeweils im legislativen Bereich.
Martin Rath, 100 Jahre Rechts- und Justizgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 01.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26235 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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