2/2: Zahlen stammen nicht nur aus 2016
Auch die weiteren Informationen des Hauses Advocard zeigen, dass Genauigkeit wohl nicht gewollt ist: Ausgewertet wurden Meldungen bei den Rechtsschutzversicherern aus fünf Jahren, konkret aus 2002, 2009, 2012, 2014 und 2016. Insgesamt wurden 1,7 Million Schadensmeldungen in den gesamten Jahren erfasst, was auch schon wieder vieles relativiert.
Die Hochrechnung auf die Zahl der Einwohner hat mit Genauigkeit ebenfalls wenig zu tun: Man habe nicht Hochrechnungen auf die Einwohnerzahl vorgenommen, sondern die Streitfälle "ins Verhältnis zur Zahl der Privatkundenverträge gesetzt und dieses Ergebnis auf die Gesamtbevölkerung umgeschlagen". Wie genau dies vorgenommen wurde, bleibt ebenfalls offen.
Dass damit die Umfrage nicht repräsentativ ist, weiß plötzlich auch Advocard: "Statistische Repräsentativität bietet der Streitatlas danach nicht, was auch im Rahmen der Publikation nicht vermittelt wird". Dies ist schlichtweg Unsinn, weil natürlich bei einer Aussage von "2,1 Streitfälle je 100 Einwohner im Jahr 2016" genau dieser Eindruck einer repräsentativen Studie vermittelt wird.
Geringe Schwankungen sind noch keine Entwicklung
Und gegen die Studie bestehen weitere Bedenken: Zum einen werden minimale Schwankungen in den Prozentsätzen als "Entwicklung" bezeichnet, was sicherlich nicht korrekt ist. Daher muss sich keine Stadt grämen, wenn sie hier schlecht wegkommt. Und auch die Behauptung, dass mehr Männer sich streiten als Frauen, kann auch damit zusammenhängen, dass viele Versicherungsverträge innerhalb von Ehen und Partnerschaften eher auf den Mann als auf die Frau ausgestellt sind.
Einzig Zahlen und Tendenzen zu den Inhalten der Auseinandersetzungen sind interessant, wenn auch nicht überraschend. Zwar werden die Fälle von Scheidung und Trennung als häufiger "Streitfall" genannt, aber dafür gibt es kaum eine Deckung durch den Rechtsschutzversicherer. Und dass zurzeit eine Welle von Auseinandersetzungen um den Widerruf von Darlehensverträgen und die Rückerstattung von Bearbeitungsgebühren für Kredite durch das Land rollt und mittlerweile bei den Oberlandesgerichten angekommen ist, ist auch nicht völlig neu. Auch die anderen Zahlen gieren eher nach Aufmerksamkeit, als dass sie sinnvolle Informationen vermittelten.
Bleibt zu hoffen, dass sich niemand auf diesen "Streitatlas" in einer juristischen oder politischen Auseinandersetzung beruft. Er könnte damit schnell Schiffbruch erleiden. Mit Werbung dieser Art bleibt Advocard wohl kaum "Anwalts Liebling".
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer sowie Pressesprecher der Rechtsanwaltskammer Köln.
Martin W. Huff, Jede Anfrage ein Streitfall: . In: Legal Tribune Online, 27.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26199 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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