Fünf Palästinenser wollten Rüstungsexporte nach Israel im Eilverfahren stoppen. "Unzulässig und unbegründet", lautet das Urteil des VG Frankfurt/M. Der Bundesregierung stehe weites Ermessen zu, auch in puncto Staatsräson und Völkerrecht.
Wegen seiner Kriegsführung in Gaza werfen Kritiker Israel vor, immer wieder das humanitäre Völkerrecht zu verletzen oder Kriegsverbrechen zu begehen. Der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Karim Khan hat gegen Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Galant (sowie drei Hamas-Führer) Haftbefehle beantragt. Die Vorwürfe: Kriegsverbrechen wie Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung sowie willkürliche Tötungen und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten. Vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) hat Südafrika Israel wegen Verstoßes gegen die Völkermord-Konvention verklagt. Dreimal bereits hat der IGH angeordnet, dass Israel Maßnahmen treffen soll, um einen Völkermord zu verhindern, zuletzt übte er im Mai deutliche Kritik an der Bodenoffensive in Rafah.
Dennoch bleibt die Bundesregierung bislang dabei, Lieferung von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern an Israel nach erfolgter Einzelfallprüfung zuzulassen. Für diese Haltung hat die Bundesregierung bereits mehrfach vor Gericht gestanden. Bislang war sie stets erfolgreich – so nun auch vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt am Main. Das Gericht lehnte einen im Juli eingereichten Eilantrag von fünf Palästinensern aus Gaza, u.a. unterstützt vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und vertreten von der Kanzlei Geulen Klinger, nun ab (Beschl. v. 11.09.2024, Az. 5 L 2333/24.F). Mit dem Antrag hatten sie versucht, den Vollzug bereits erteilter Genehmigungen für noch nicht an Israel gelieferte Rüstungsgüter zu stoppen. Das Verdikt des VG ist deutlich: "unzulässig und auch offensichtlich unbegründet."
Die Entscheidung, die LTO im Volltext vorliegt, ist eine Niederlage für Menschen, die sich in ausländischen Kriegsgebieten aufhalten: Sie können nach Auffassung der 5. Kammer vor deutschen Gerichten nicht gegen Lieferungen von Rüstungsgütern, die keine Kriegswaffen sind, an eine der Kriegsparteien klagen.
Rüstungsexporte seit November stark zurückgegangen
Die Unterscheidung zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ist maßgeblich für Zuständigkeit, Verfahren und anwendbares Recht in Deutschland. Sonstige Rüstungsgüter unterfallen nur dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG), zuständig für die Genehmigung ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Exporte von Kriegswaffen müssen demgegenüber ein zweistufiges Genehmigungsverfahren durchlaufen: eines nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG), dann folgt die Ausfuhrkontrolle nach dem AWG. Für den ersten Schritt zuständig ist das jeweilige Bundesministerium. Dies sind in erster Linie das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) sowie das Bundesinnenministerium (BMI).
Insgesamt ist das Volumen deutscher Waffenexporte an Israel zuletzt erheblich zurückgegangen. Hat Deutschland im Jahr 2023 insgesamt noch Rüstungsexporte im Wert von 326 Millionen Euro genehmigt – die meisten davon in der Zeit kurz nach dem 7. Oktober –, beträgt dieser Wert nach einer aktuellen Recherche von Profil und Shomrim in 2024 für die Zeit bis Ende August nur 14,5 Millionen Euro. Seit März seien keine Kriegswaffenlieferungen mehr genehmigt worden, sondern nur noch Exporte sonstiger Rüstungsgüter. Schon im April hatte die Bundesregierung im IGH-Verfahren Nicaragua gegen Deutschland vorgetragen, man habe seit November nur noch wenige Exportgenehmigungen für kriegstaugliche Waffen erteilt, wobei es sich überwiegend um Munition zu Testzwecken gehandelt habe.
Die Unterscheidung beider Waffenarten fällt nicht immer leicht, in der Praxis ist entscheidend, ob die Güter auf der Kriegswaffenliste oder der Ausfuhrliste stehen. Allgemein sind Kriegswaffen nach § 1 KrWaffKontrG “zur Kriegsführung bestimmt”. Jedenfalls darunter fallen Kampfjets, Panzer und Panzerfäuste. Sonstige Rüstungsgüter sind neben Equipment auch Munition, sogar Haubitzenmunition, sowie Flug- und Fahrzeugteile.
Nicht die erste Niederlage
Der Antrag der fünf Palästinenser bezog sich auf solche Rüstungsgüter mit Endverbleib in Israel oder zur Nutzung durch die israelischen Streitkräfte, deren Lieferung das BAFA zwar genehmigt hatte, die aber noch nicht ausgeliefert worden sind. Weil das BAFA seinen Sitz in Frankfurt am Main hat, war das dortige VG zuständig.
In einem ähnlichen Verfahren hatte das VG Berlin die Eilanträge mehrerer Palästinenser aus Gaza im Juni auch als unzulässig abgelehnt, im August bestätigt vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. In dem Verfahren ging es um Kriegswaffen, aufseiten der Bundesrepublik war hier das in Berlin-Mitte ansässige BMWK Antragsgegner. Die hier zum Teil ebenfalls vom ECCHR unterstützten Antragsteller wollten der Bundesregierung für die Zukunft untersagen lassen, weitere Kriegswaffenexporte nach Israel zu genehmigen. Es handelte sich also – anders als im Verfahren vor dem VG Frankfurt – um den sogenannten vorbeugenden Rechtsschutz. Der Eilantrag scheiterte daran, dass das hierfür erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis fehlte.
Wie im Berliner Verfahren stützte sich auch der Antrag vor dem VG Frankfurt materiell darauf, dass Israel mit seinen Luftangriffen und Bodenoffensiven in Gaza vielfach das humanitäre Völkerrecht verletze. Die deshalb rechtswidrigen Genehmigungen von Waffenexporten nach Israel gefährdeten das Leben und die Gesundheit der Antragsteller als palästinensische Zivilisten, so die Argumentation. Das von Redeker Sellner Dahs vertretene BAFA hingegen verweist darauf, dass es von Fall zu Fall sorgfältig abgewogen habe, welche Rüstungsgüter es – im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen – zur Lieferung an Israel genehmige.
Inwiefern sich Deutschland durch den Export von Rüstungsgütern an möglichen israelischen Völkerrechtsbrüchen in Gaza beteiligt, bewertete die 5. Kammer allerdings nicht. Sie hält den Eilantrag schon deshalb für unzulässig, weil die Palästinenser nicht in eigenen Rechten verletzt seien und ihnen daher die Antragsbefugnis fehle. Er sei ferner offensichtlich unbegründet, weil die Genehmigung von Waffenexporten weitgehend im außenpolitischen Ermessen der Bundesregierung stehe.
Grundrechte gelten auch für Ausländer im Ausland, aber...
Die Antragsbefugnis hatten die Antragsteller auf § 4 Abs. 1 AWG gestützt und unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Ausland-Ausland-Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) vom 19. Mai 2020 begründet. Hier hatte das BVerfG u.a. entschieden, dass sich auch Ausländer im Ausland auf die im Grundgesetz (GG) verankerten Grundrechte berufen und grundrechtseinschränke Maßnahmen deutscher Behörden beanstanden können. Die Antragsteller machten hier eine Verletzung ihres Grundrechts auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG geltend.
Hinsichtlich der Begründetheit des Antrags verwiesen sie zusätzlich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Nutzung der US Air Base in Ramstein für Drohneneinsätze vom 25. November 2020. Hier hatte das BVerwG die Klagen mehrerer Jemeniten gegen Drohneneinsatze des US-Militärs im Jemen zwar abgelehnt, weil es an einem hinreichenden Bezug der Drohnensteuerung zum deutschen Staatsgebiet fehlte. Allerdings hatte das BVerwG zugleich festgehalten, dass die Bundesregierung grundsätzlich eine aus Art. 2 Abs. 2 GG folgende Pflicht zum Schutz ausländischer Staatsbürger in Kriegsgebieten treffe. Wenn Deutschland daran mitwirke, dass ein ausländischer Staat das Völkerrecht verletze, dürfe sie nicht untätig bleiben.
Zunächst stellte das VG Frankfurt fest, dass die in § 4 Abs. 1 AWG genannten Schutzgüter wie das friedliche Zusammenleben der Völker, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik oder ihre öffentliche Ordnung oder Sicherheit keinen Drittschutz entfalteten. Im Anschluss setzte es sich auch mit diesen beiden Urteilen auseinander und verwies dabei jeweils auf einschränkende Passagen. So hat das BVerfG in seiner BND-Entscheidung die Grundrechtsbindung im Ausland nur grundsätzlich festgestellt, dabei aber zugelassen, den Umfang des Grundrechtschutzes zwischen In- und Ausland unterschiedlich zu bemessen. Die Ramstein-Entscheidung wertet das VG so, dass das BVerwG eine Schutzpflicht gegenüber Menschen in Kriegsgebieten nur für den Fall anerkenne, dass "eine über isolierte Einzelfälle hinausgehende Praxis völkerrechtswidriger Handlungen des anderen Staates feststellbar" sei.
"Staatsräson" und Kritik an den Vereinten Nationen
Eine Subsumtion von Israels Kriegshandlungen in Gaza unter diese Einschränkung nahm das VG dann jedoch nicht vor. Stattdessen ging es dazu über, das Ermessen der Bundesregierung bei der völkerrechtlichen Bewertung des Handelns des unterstützten Staates zu betonen. Gerichte dürften die Ausfuhrgenehmigungen durch die Bundesregierung nur auf Willkür überprüfen.
Zur Begründung stützte sich das VG auch auf einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 1980. Danach fehle es dem Völkerrecht "an einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit, vermittels deren die Richtigkeit von Rechtsauffassungen im Streitfall verbindlich festgestellt werden könnte". Dies begründete das BVerfG damit, dass der IGH nur zuständig sei, wenn beide Parteien sich seiner Zuständigkeit unterworfen haben oder die Zuständigkeit in dem jeweils gegenständlichen völkerrechtlichen Abkommen geregelt ist. Daher komme der Auslegung des Völkerrechts durch einen Staat auf internationaler Ebene "eine sehr viel größere Tragweite zu als in einer innerstaatlichen Rechtsordnung, in der Gerichte das Recht auch für den Staat verbindlich feststellen". Dieses Teilargument des VG lautet also vereinfacht: Weil der IGH keine allgemeine völkerrechtliche Zuständigkeit besitzt, dürfen auch die nationalen Gerichte die Auslegung des Völkerrechts durch die Bundesregierung nur begrenzt überprüfen.
Ein willkürliches Handeln des BAFA bzw. der Bundesregierung konnte das VG hier nicht erkennen. Wie bereits die Berliner Verwaltungsgerichte und der IGH im Verfahren Nicaragua gegen Deutschland, verwies das VG insofern auf das "robuste und vielschichtige Prüfprogramm" im deutschen Recht. Dieses sei ausreichend, um einer Beteiligung Deutschland an systematischen Völkerrechtsverstößen vorzubeugen, und zwar "ohne dieses mangels Vorlage der Behördenakten im Detail zu kennen".
Dabei sei auch die Maxime der Bundesregierung, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei, und was hieraus folge, Teil des legitimen außenpolitischen Ermessens. Am Rande ging das VG noch darauf ein, welchen Beweiswert Berichte von UN-Organisationen und speziell der Report "Anatomy of a Genocide" der UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese besitzen. Diese können laut der 5. Kammer "im Rahmen eines Eilverfahrens nicht ohne nähere intensive Prüfung als Grundlage für den Vorwurf von Völkerrechtsverstößen herangezogen werden, da die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen in der Vergangenheit eine nicht unumstrittene Herangehensweise im Umgang mit dem Nahost-Konflikt zeigten".
Keine Verbandsklage im deutschen Rüstungskontrollrecht
Damit stellt das VG die Auslegung des Völkerrechts sowie die Würdigung von UN-Berichten als Beweismittel für mögliche Kriegsverbrechen weitgehend ins Ermessen der Bundesregierung. Eine Wertung, bei der unklar ist, ob die Berliner Verwaltungsgerichte sie teilen. Dort hat das VG eine grundsätzliche Rechtsschutzmöglichkeit sehr wohl angedeutet und hat dafür Kritik geerntet. Ein vom ECCHR unterstütztes Hauptsacheverfahren in Bezug auf bereits genehmigte Kriegswaffenexporte ist dort noch anhängig. Im Gegensatz zum AWG nimmt das KrWaffKontrG in § 6 Abs. 3 Nr. 2 aber explizit auf das Völkerrecht Bezug; demnach muss die Genehmigung unterbleiben, wenn die Bundesrepublik durch den Export eigene Pflichten aus dem humanitären Völkerrecht verletzen würde. Einer solchen Vorschrift Drittschutz zugunsten von Zivilisten zuzusprechen, wäre also kein zwingender Widerspruch zur Entscheidung des VG Frankfurt, stünde aber im Spannungsverhältnis zu ihr. Das VG Frankfurt jedenfalls lässt im Bereich sonstiger Rüstungsgüter so gut wie keinen Raum für eine Klage von Zivilisten aus Kriegsgebieten gegen die Genehmigung von Rüstungsgütern.
Ob die fünf Palästinenser ein Rechtsmittel planen, werde noch geprüft, sagte ECCHR-Programmleiter für Völkerstraftaten, Alexander Schwarz, auf LTO-Anfrage. Möglich wäre eine Beschwerde zum hessischen Verwaltungsgerichtshof.
Um die Exportgenehmigungen stets auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen lassen zu können, bräuchte es eine Verbandsklage für NGOs. Die kennt aber das deutsche – im Gegensatz zum niederländischen – Recht in diesem Bereich nicht. In diesem Zusammenhang wies das VG Frankfurt darauf hin, dass im Koalitionsvertrag ein neues Rüstungsexportkontrollgesetz angekündigt war, welches eine Verbandsklage vorsieht. Ein Eckpunktepapier hat das Bundeswirtschaftsministerium Ende 2022 vorgelegt. Auf LTO-Anfrage teilt das BMWK mit, derzeit einen Referentenentwurf vorzubereiten. Ziel sei es, das Gesetzgebungsverfahren in der laufenden Legislatur noch abzuschließen.
Red. Hinweis: BMWK-Stellungnahme nachträglich hinzugefügt (16.09.2024, 17:35 Uhr, mk).
Genehmigung von Rüstungsexporten an Israel: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55423 (abgerufen am: 19.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag