Kabinett stimmt Gesetz für neuen Wehrdienst zu: Pis­to­rius setzt auf Frei­wil­lig­keit

06.11.2024

Ein Gesetzentwurf macht die Wehrdienstpläne des Bundesverteidigungsministers konkret. Das Vorhaben ist ein Baustein, um im Ernstfall 460.000 Soldaten unter Waffen zu haben. Die umstrittene Reaktivierung der Wehrpflicht kommt demnach nicht.

Mit einem Gesetzentwurf legt das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) den Grundstein für die Einführung eines neuen Wehrdienstes in Deutschland. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat am Mittwoch die Zustimmung des Bundeskabinetts zu seinen Plänen erhalten. Insbesondere die FDP hatte im Sommer noch Kritik geäußert. Ziel ist es, dass alle jungen Männer, die vom kommenden Jahr an 18 Jahre alt werden, in einem digitalen Fragebogen Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst geben müssen. Für junge Frauen ist das Ausfüllen optional.

"Das Gesetz zum neuen Wehrdienst ermöglicht uns, die Wehrerfassung wieder zu installieren, die es seit Aussetzung der Verpflichtung zum Grundwehrdienst 2011 nicht mehr gibt. Wenn es morgen zum Verteidigungsfall käme, wüssten wir nicht, wen wir einziehen könnten, weil es keine vollständige Datengrundlage gibt", sagte der SPD-Politiker der dpa. "Mit der Aussetzung des Wehrdienstes sind Wehrerfassung und Wehrüberwachung zerschlagen worden, obwohl der Staat gesetzlich dazu verpflichtet ist."

Zahl der Soldaten war zuletzt weiter im Sinkflug

Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich, denn gleichzeitig wurden praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Pistorius hat dies im Zuge der veränderten Sicherheitslage mehrfach als Fehler bezeichnet.

Im Wehrpflichtgesetz ist aber weiter festgelegt, dass die Wehrpflicht für Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt, ohne dass es nach 2011 noch konkrete Vorbereitungen für eine solche Situation gab. Personalsorgen der Bundeswehr haben zuletzt zugenommen und die Zahl der Soldaten war mit Stand Juni sogar unter 180.000 Männer und Frauen gesunken. Es gibt zudem rund 60.000 beorderte – also fest eingebundene – Reservisten.

Deutschland braucht im Ernstfall 460.000 Soldaten

Wegen der veränderten Sicherheitslage ist der Bedarf Deutschlands für die NATO-Ziele aber ganz anders. "Der deutsche Beitrag zur Bündnisverteidigung erfordert langfristig einen Verteidigungsumfang von insgesamt rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Ein großer Teil davon, nämlich rund 260.000, muss aus der Reserve aufwachsen können", sagt Pistorius.

In der Bundeswehr gibt es aktuell etwa 15.000 Plätze für die Ausbildung freiwillig Wehrdienstleistender, von denen regelmäßig etwa ein Drittel unbesetzt sind. Das ist der Startpunkt, den es zunächst zu füllen gilt. Der Plan: Jedes Jahr sollen 3.000 Ausbildungsplätze zusätzlich aufgebaut werden. Ein Jahrgang in Deutschland zählt etwa 650.000 Menschen, also mehr als 300.000 junge Männer.

Die Militärplaner sind überzeugt, mit dem Prinzip des verpflichtenden Fragebogens und einem freiwilligen Dienst auf eine ausreichende Zahl an Bewerbern kommen zu können. Von einer Wehrpflicht, wie sie im Kriegsfall wieder in Kraft treten würde, bleibt damit wenig übrig. Die Regierung will aber wieder Strukturen aufbauen und auch Frauen ein Angebot machen, ohne das Grundgesetz zu ändern. Im Unterschied zum "Schwedischen Modell", was länger als mögliches Vorbild für Deutschland diskutiert worden war, kann der Staat nach den Pistorius-Plänen dagegen nicht verpflichtend Personen zum Wehrdienst einziehen, wenn es nicht genug Freiwillige gibt.

Grundgesetz kennt eine Wehrpflicht nur für Männer

"Wir versenden einen digitalen Fragebogen. Junge Männer, die 18 Jahre alt werden, sind verpflichtet, ihn auszufüllen. Damit erheben wir die nötigen Daten, die wir für eine Erfassung brauchen. Die Musterung eines ganzen Jahrgangs ist nicht nötig", sagte Pistorius am Mittwoch. "Auch die gleichaltrigen Frauen bekommen den digitalen Fragebogen. Sie sind allerdings nicht verpflichtet, ihn auszufüllen, da es im Grundgesetz nur eine Wehrpflicht für Männer, nicht aber für Frauen gibt." Zu den verfassungsrechtlichen Hintergründen der Wehrpflichtdebatte berichtete LTO bereits hier.

Dabei soll die Basisausbildung für den neuen Wehrdienst sechs Monate dauern – mit der Option, für Spezialisierungen auf bis zu 23 Monate verlängern zu können. Im Raum steht ein Sold für den niedrigsten Dienstgrad (den freiwillig Wehrdienstleistende bekämen) von mindestens 1.800 Euro, den Umständen nach auch bis zu 200 Euro mehr.

Der weitere Zeitplan ist ambitioniert und im BMVg hofft man, dass er nicht unter den Trümmern einer auseinanderbrechenden Ampel-Koalition verschüttet wird. Als möglich gilt, dass das Gesetz im Mai kommenden Jahres in Kraft treten könnte.

dpa/jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Kabinett stimmt Gesetz für neuen Wehrdienst zu: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55797 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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