Die Gleichberechtigung ins GG bringen. Am Gesetz über das BVerfG mitschreiben. Eine faktische Amnestie für mutmaßliche NS-Massenmordbeteiligte ins StGB schmuggeln - wer kann so etwas? Juristen mit Einfluss, von berühmt bis verdrängt.
Einfluss, so erklärte der berühmte Soziologe Max Weber (1864-1920), ist eine Möglichkeit, Menschen zu bewegen, ohne grobe Macht oder anerkannte Herrschaft auszuüben. Die Quellen von Einfluss sind vielgestaltig. Ein Mensch kann Einfluss gewinnen, indem er Recht hat, indem er Aufmerksamkeit schenkt oder durch gute Argumente zu überzeugen weiß. Überredungskünste oder auch ein nie verausgabtes Potenzial an Geld oder Gewalt bewirken Einfluss.
Einfluss zu messen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Man weiß zwar beispielsweise, dass ein Mann von 1,80 Meter Größe eher in eine Führungsposition gelangt als einer von 1,68 Metern. Wer sich dann aber geschickter der Methoden des Einflusses bedient? Das weiß man nicht.
Betrachten kann man jedenfalls die, die in der Geschichte einmal zweifellos besonders viel Einfluss hatten – und die Abwege, auf die manche von ihnen dabei gerieten. Den besonders prägenden, der Welt gut in Erinnerung gebliebenen oder mühevoll verdrängten Juristen gilt dieser Text.
Zu den Trägern des Thomas-Dehler-Preises zählen so unterschiedliche Personen wie die berühmte französische Politikern Simone Veil (Académie française, Präsidentin des Europäischen Parlaments a.D.) und der deutsche Publizist Helmut Markwort (Darsteller in "Engelchen oder Die Jungfrau von Bamberg", Chefredakteur des Focus a.D.).
Thomas Dehler (1897-1967), dessen Andenken von seiner Partei, der FDP mit dieser lustigen Inkonsequenz gepflegt wird, zählt zu den Vätern der bayerischen Verfassung von 1946 und des Bonner Grundgesetzes von 1949. Nach seiner Arbeit in der verfassunggebenden Landesversammlung Bayerns und im Parlamentarischen Rat wurde Dehler im Anschluss an die erste Bundestagswahl 1949 zum Bundesminister der Justiz im Kabinett Konrad Adenauers berufen.
Was ist die Mitarbeit an einer Verfassung gegen den Einfluss, in den Gründerjahren der Republik wesentliche Gesetze auszuarbeiten? Dehlers Rolle wirkt heute etwas ambivalent. Einerseits stritt er gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe, die erst kurz zuvor – in einer Verkettung glücklicher Zufälle – durch Artikel 102 Grundgesetz beseitigt worden war. Andererseits vertrat er die Auffassung, dass unter den Staatsterrorismus des NS-Staats ein Schlussstrich zu ziehen sei. Das Ausführungsgesetz zu Artikel 131 Grundgesetz, das vielen NS-belasteten Beamten und Richtern den Wiedereinstieg in Justiz und Verwaltung erlaubte, zählt zu den Schlussstrichnormen unter BMJ Dehler.
Seine Bedeutung an der etwas peinlichen FDP-Gedenkkultur zu messen, ist unfair. Debattenredner wie Dehler würde man heute gern im Bundestag zu hören bekommen.
Als sich Gottlieb Daimler im Jahr 1882 daran setzte, einen neuen Verbrennungsmotor zu entwickeln, war er nach einem Jahr fertig und konnte schon 1883 seinen revolutionären Viertaktmotor zum Patent anmelden. Heutige Automobilkonstrukteure benötigen vielköpfige Teams und erheblich längere Entwicklungszeiten, um wesentlich kleinere Neuentwicklungen patentreif zu bekommen.
Die Beobachtung, dass die Zeit der großen Konstruktionsleistungen vorbei ist und nur am Bestehenden herumgeschraubt wird, lässt vielleicht auch auf die Rechtswissenschaften übertragen. Das Bundesverfassungsgericht soll 1983 ein "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" erfunden haben? Nun, eigentlich hatten es doch schon die Daimler-Zeitgenossen Samuel Warren und Louis Brandeis im Jahr 1890 als "The Right to Privacy" konstruiert. Kommt es vielleicht nur darauf an, zeitgemäßen Normen mit zeitgemäßen Einflussmitteln zur Geltung zu verhelfen?
Der längst überfällige Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz, dem zwischen den 1950er und 1970er Jahren mühsam die Gleichberechtigung der Geschlechter im bürgerlichen Recht folgte, verdankt seine Aufnahme ins Grundgesetz vor allem einer Protestkampagne der Rechtsanwältin Elisabeth Selbert (1896-1986), die als Mitglied im männlich dominierten Parlamentarischen Rat ein altes Mittel wiederentdeckte, Einfluss zu nehmen– eine Protestkampagne der betroffenen Bürgerinnen.
Bei der Wahl der ersten Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts wurde Selbert von ihrer Partei, der SPD, mangels Stallgeruchs freilich übergangen – ein Naturgesetz der Einflussnahme mittels Kampagnen?
An seinem langjährigen Wirkungsort, der Universität zu Köln, ging noch 30 Jahre nach seinem Tod das Gerücht, dass Hans Carl Nipperdey (1895-1968) nach dem Zweiten Weltkrieg der CDU, seine Gattin hingegen der SPD beigetreten sei, um sich in der jungen Bundesrepublik nach beiden Seiten abzusichern.
Einfluss übte der Zivilrechtslehrer unter anderem über die legendäre Zahl seiner akademischen Schüler aus, von denen es hieß, dass Nipperdey "die jungen Herren" bei der Herstellung seiner Kommentare und Aufsätze zuarbeiten ließ: "Hier ruht Professor Nipperdey – diesmal wirklich er selbst", wurde zu seinen Lebzeiten über seinen künftigen Grabstein gespottet.
Als erster Präsident des 1954 gegründeten Bundesarbeitsgerichts prägte Nipperdey wesentliche Teile des Arbeitsrechts der Bundesrepublik mit, nicht zuletzt auf dem hochpolitischen Feld des Arbeitskampfrechts.
Was verschafft mehr Einfluss? Den mageren Artikel 9 Absatz 3 ins Grundgesetz gebracht zu haben? ("Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.") Oder diese Sätze durch erste, tragende Gerichtsentscheidungen in lebendes Recht umzusetzen?
Unter den linken und liberalen Kritikern der, freundlich gesagt: konservativen Justiz der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik genießt ein langjähriger Spitzenbeamter im Bundesjustizministerium einen ähnlich finstren Ruf wie der James-Bond-Bösewicht, der wahlweise seine Katze krault oder dämonisch von der Leinwand lacht.
Ein Meisterstück an heimlicher Einflussnahme soll Eduard Dreher (1907-1996) geleistet haben, indem er 1968 die zwingende Strafmilderung für Mordgehilfen bei Fehlen besonderer persönlicher Merkmale über das "Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz" ins Strafgesetzbuch schmuggelte – damit ging eine faktische Amnestie für viele mutmaßliche NS-Massenmordbeteiligte einher.
Dreher hatte nach 1945 seine Karriere fortsetzen können, obwohl er – nach heutigem Verständnis – vor 1945 an einer Anzahl von Justizmorden beteiligt gewesen war. Der Verlagsgruppe C.H. Beck diente er als Verfasser jenes Kommentars zum Strafgesetzbuch, der heute von Thomas Fischer herausgebracht wird. Zweifellos hatte der Mann Einfluss.
Aber ein juristisches James-Bond-Äquivalent in Schurkenhaftigkeit? Einen als Schurken zu identifizieren, um über die Anwendung der eingeschmuggelten Norm nicht weiter zu streiten, das lenkt den Blick von der wahren Verantwortung doch eher ab.
Auf 20.000 Mark belief sich das Bankdarlehen von Sylvia Farrenkopf, zurückzuzahlen in 47 Monatsraten. Ausgezahlt wurden der 19-jährigen Frau jedoch nur 12.000 Mark, die Differenz wurde für Zinsen, Vermittlerprovision und eine Kreditausfallversicherung vereinnahmt. Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied 1979 in einem aufsehenerregenden Urteil, dass der Kreditvertrag wegen der Wucherzinsen sittenwidrig, also nichtig sei.
Dass der Mensch an sich zu dumm ist, um gewisse Risiken einzuschätzen, zum Beispiel die Belastung durch Zinsen – sogar dann, wenn sie explizit beziffert werden –, lernt jeder Banklehrling im ersten Ausbildungsjahr und mancher BWL-er im Studium.
Rolf Bender (1923-2007), einer der Richter hinter dem Stuttgarter Urteil, brachte zusammen mit Armin Nack die moderne Glaubwürdigkeits- und Beweislehre, also das notwendige Mindestmaß an psychologischer Fachkunde und erkenntnistheoretischer Ökonomie auf den juristischen Bücher- und Fortbildungsmarkt.
Richter, die einem Denken folgen, das von der herrschenden Meinung und der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs oder der anderen Bundesgerichte abweicht – sicher kein Grund, Heldenmut zu feiern. Aber dass derlei oft zu beobachten ist, mag man auch nicht behaupten.
Schon zu Lebzeiten zählten seine Bücher und Aufsätze zu den klassischen Werken der Soziologie, seine akademische Ausbildung hatte er aber zunächst in den Rechtswissenschaften genossen und war lange Jahre als Verwaltungsjurist tätig gewesen: Niklas Luhmann (1927-1998).
Während der gewöhnliche Jurist in der Lage ist, jedes einfache Ding auf dem Planeten in ein sprachliches Labyrinth des normativen Denkens zu verrätseln, um ihm dann mit dem Zauberstab der Subsumtion seinen Platz zuzuweisen, ersetzte Luhmann das Normative des Juristen durch ein soziologisches Verrätselungsinstrument namens "System". Mit seiner Systemtheorie übertrug Luhmann alle großen sozialen Fragen (Habe ich Macht? Werde ich geliebt? Habe ich genug Geld? Bekomme ich Recht? Bin ich gesund? Spreche ich die Wahrheit? Habe ich die Prüfung bestanden? Finde ich das schön? Ist das gerecht?) in seine sozialwissenschaftliche Kunstsprache. Boshafte Menschen behaupten, dass sich die eigentlichen Antworten auf diese Fragen auf das rheinländische "ett kütt wie ett kütt" (zu Deutsch: es kommt, wie es kommt) reduzieren ließen: Was ist, ist so, weil es so ist, wie es ist.
In Ermangelung eines kriegsfähigen Militärs setzt man in Deutschland den Stamm der in die Luhmann-Sprache Eingeweihten im Feuilleton sowie in der akademischen Soziologie ein, wo Luhmann bis heute einigen Einfluss genießt.
Angesichts der notorischen Neigung nahezu aller Gerichte, sich gerne selbst zu zitieren – unabhängig davon, ob man sich im angelsächsischen oder im kontinentaleuropäischen Raum bewegt –, sind die ersten Urteile eines jungen Rechtsstaats vielleicht seine wichtigsten.
Der vormalige Staatsanwalt am Sondergericht Bamberg, Willi Geiger (1909-1994), der 1941 eine Doktorarbeit von überaus hässlicher antisemitischer und antiliberaler Tendenz verfasst hatte, diente in den frühen Jahren des Bundesministeriums der Justiz unter anderem als Leiter des Verfassungsreferats, wirkte also daran mit, die Verfassungslyrik von Herrenchiemsee in die Verfassungsprosa von Bonn und Karlsruhe umzuarbeiten. Das muss er auch ganz ordentlich im Sinn der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung erledigt haben, denn z.B. das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht beruht auf einem Entwurf Geigers, der praktischerweise nicht nur 1950 als Richter an den Bundesgerichtshof kam, sondern zwischen 1951 und 1977 auch als Richter des Bundesverfassungsgerichts arbeitete. Das Gesetz ließ diese Doppelfunktion und Amtsdauer seinerzeit zu.
Als Verfassungsrichter mit längster Dienstzeit und zweitem Standbein am BGH, als Berichterstatter in bedeutenden Verfahren, beispielsweise zur Pflicht des Beamten, seinem Staat treu zu dienen, dürfte Geiger die Inkarnation von Einfluss in der Justiz der jungen Bundesrepublik gewesen sein. Und warum sollte es dem Renommee und Einfluss eines Mannes vom Jahrgang 1909 abträglich gewesen sein, andere Menschen ums Leben gebracht zu haben – wie es zur Arbeit eines Staatsanwalts nach 1933 doch gehörte?
Sie war Mitherausgeberin eines dieser grauleibigen Kommentare des bekannten Münchner Verlagshauses, deren dezente Staubfarbigkeit unter Richtern und Verwaltungsleuten besonderes Vertrauen in den Inhalt weckt. Ihre Arbeit am Kommentar zum "Gleichberechtigungsgesetz", das in den 1950er-Jahren endlich die Gleichberechtigung von Frau und Mann im Zivilrecht bewirken sollte, leistete die Düsseldorfer Verwaltungsrichterin Hildegard Krüger (1909-1998) in einer Zeit, in der die mausgraue Literatur aus München eher selten von Frauen geschrieben wurde.
Verdutzt reibt man sich nach dem Blick in dieses Werk die Augen. Krüger schrieb 1957/58 in mitunter scharfen Tönen zur Soziologie und Geschichte des Geschlechterverhältnisses, was sich Jahrzehnte später in Alice Schwarzers Emma hätte wiederfinden können – im Guten ebenso wie an der Grenze zum feministisch Überkandidelten. Als Juristin waren ihr die altväterlichen Reste des BGB schon ein Dorn im Auge, als Frau Schwarzer noch brav zur Volksschule ging.
Gut aufgenommen wurde der etwas paradiesvogelartige Inhalt des grauen Kommentars von Hildegard Krüger zwar nicht, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit machte Krüger – gelinde gesagt – keine Karriere. Ganz entziehen konnten sich Verwaltungspraxis und Rechtsprechung dem Charme der Münchener Grauware aber auch nicht. In den 1960er-Jahren zitierten diverse Gerichtsentscheidungen den Kommentar.
Nicht zuletzt dem Einsatz von Rechtsanwalt Dr. Dr. Klaus Sojka (1926-2009) ist der berühmte Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu verdanken, der das Recht der Deutschen, sich friedlich und ohne Anmeldung zu versammeln, ein gutes Stück aus dem autoritären Gehäuse des preußisch-deutschen Kaiserreichs befreite. Bis zum Brokdorf-Beschluss aus dem Jahr 1985 folgte das juristische Denken zum Demonstrationsrecht noch weitgehend den Vorgaben, die 1909 unter Kaiser Wilhelm II. ins Reichsvereinsgesetz geschrieben worden waren.
Gegen das in Brokdorf an der Elbe, im südlichen Schleswig-Holstein geplante Kernkraftwerk protestierten in den frühen 1980-er Jahren Zehntausende in Großdemonstrationen. Darunter viele Linksradikale und bürgerliche Umweltschützer, aber auch einige Rechtsradikale. An geordnete Versammlungen in preußischer Formation war jedenfalls nicht mehr zu denken.
Die zielführende Verfassungsbeschwerde gegen eine restriktive Anwendung des Versammlungsgesetzes vertrat besagter Rechtsanwalt Sojka. Der war zunächst bei den "Grünen" aktiv (möglicherweise bis 1990), wurde später zum Landeschef der rechtsextremen "Deutschen Volksunion". Als selbsternannter Tierrechtsaktivist war er über zwei Jahrzehnte gern zitierter Ansprechpartner liberaler Medien wie der Zeit oder dem Spiegel.
Zu den ulkigen Wegen erfolgreicher Einflussnahme: Das Bundesverfassungsgericht gab auf Initiative des grün-braunen Rechtsanwalts Dr. Sojka dem alten königlich-preußisch-kaiserlich-deutschen Versammlungsrecht den liberalen Todesstoß. In seinen letzten Jahren gehörte Sojka jedoch zu den Hauptstichwortgebern der rechtsextremen "Reichsdeutschenbewegung", die unter ihrem Alu-Hut davon träumen, die Bundesrepublik Deutschland gebe es eigentlich gar nicht.
Martin Rath, Einflussreich, jedenfalls bemerkenswert: 9 Juristen, die man kennen sollte . In: Legal Tribune Online, 11.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18070/ (abgerufen am: 19.07.2024 )
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