1. Mai: Raus auf die Straße!

von Martin Rath

01.05.2018

2/9: Erst einmal freimachen: Das Gesetz "Le Chapelier"

Den tiefen gesellschaftlichen Donnerschlag vergisst man über dem Schulbuch-Wissen in dieser Sache gerne: Mit Gesetz vom 14. Juni 1791 verbot die verfassungsgebende Nationalversammlung nicht nur den französischen Handwerkern, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, zu streiken und ihre Arbeitsbedingungen kollektiv auszuhandeln. Auch die Zünfte, also die hergebrachte Organisationsform der gewerblichen Wirtschaft, wurden aufgehoben.

Zwei Generationen später (1848) beschrieben zwei deutsche Flüchtlinge mit einem schweren Hang zur Politik das Ergebnis der "Loi Le Chapelier": "Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen, als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung‘. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt."

Man mag von Marx und Engels, dem politisierenden Journalisten und dem Fabrikantensohn, halten was man will. Aber dass Fragen der ökonomischen und biologischen Reproduktion einer Gesellschaft zusammengehören, hatten die beiden Alten im Blick.

Wo die Zunft verboten wird, muss die Bürgerstochter zwar nicht mehr den Gesellen heiraten, wird aber zunächst zum Objekt von Heiratsverträgen. Diskutiert man in Zeit von #metoo Fragen von Arbeit und Fortpflanzung auf nur annähernd ähnlich hohem Niveau? Das Gesetz "Le Chapelier" normierte, dass nichts mehr sei zwischen dem Einzelnen und seinem Souverän. Eines der gewaltigsten Gesetze aller Zeiten, zu Schulbuchwissen verstaubt.

Zitiervorschlag

Martin Rath, 1. Mai: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28367 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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