8/9: Kontinuitätsfragen im Arbeitsrecht
Der 1. Mai, als gesetzlicher Feiertag eingeführt von der nationalsozialistischen Führung, könnte Anlass geben, über Kontinuitäten und Brüche in der rechtlichen und kollektiven Organisation von Arbeit in Deutschland nachzudenken.
Nach der Enteignung und Zerschlagung der Gewerkschaften im Jahr 1933 stand der NS-Staat vor der Aufgabe, die kollektiven Organisationsformen der Arbeit, insbesondere die Tariffragen und die innere Organisation der Betriebe zu regeln.
Das "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 1934 liest sich – mit Blick auf das heutige Betriebsverfassungsgesetz – wie eine Travestie. Der Arbeitgeber wird zum "Führer des Betriebes" erklärt, die "Angestellten und Arbeiter" zur "Gefolgschaft". Verdrängt man den Tonfall des Gesetzes, klingt manches doch vertraut. In § 2 Abs. 2 heißt es etwa zum "Führer des Betriebes": "Er hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen. Diese hat ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten."
Als Wechselspiel von Fürsorge- und Treuepflicht konturierten derartige Gedanken auch noch das Arbeitsrecht der Nachkriegszeit. Die auf der Grundlage des "Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit" von einem sogenannten Reichstreuhänder – einem Substitut für die beseitigten Tarifvertragsparteien – erlassenen Tarifordnungen blieben in der Nachkriegszeit vielfach als kollektives Arbeitsrecht erhalten, bis sie durch neue Regelungen überschrieben wurden – Entscheidungen aus den 1950er Jahren beziehen sich unzählige Male auf sie.
Als der Historiker Götz Aly im Jahr 2005 mit seiner Studie "Hitlers Volksstaat" darauf hinwies, wie sehr sich das NS-Regime durch sozialpolitische Wohltaten die Willfährigkeit, jedenfalls den Opportunismus weiter Volkskreise erkaufte, löste dies noch einen kleinen Sturm im deutschen Feuilleton aus. Inzwischen sollte es an der Zeit sein, dies auch auf dem Gebiet des Arbeitsrechts nüchtern aufzuarbeiten – also beispielsweise dem Werk der wohl wichtigsten Stimme im NS-Arbeitsrecht und späteren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Hans Carl Nipperdey (1895–1968) nachzugehen, statt marktschreierisch z.B. die Beseitigung nach ihm benannter Straßen zu fordern.
Martin Rath, 1. Mai: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28367 (abgerufen am: 19.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag