7/9: Koalitionsfreiheit, geregelt im Stinnes-Legien-Abkommen
Der Montanindustrielle Hugo Stinnes (1870–1924) und der Gewerkschaftsführer Carl Legien (1861–1920) unterzeichneten am 15. November 1918 die "Satzung für die Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands".
Während die republikanische Reichsverfassung erst im Jahr 1919 beschlossen wurde, regelten die Tarifpartner schon einmal Grundfragen der wirtschaftlichen Ordnung. Dreißig Jahre später vollzog sich ein entfernt ähnlicher Vorgang: Auch das heutige Tarifvertragsgesetz, datiert vom 9. April 1949, ist also älter als das Grundgesetz.
Das sogenannte Stinnes-Legien-Abkommen traf Vorkehrungen für die Rückkehr der zahllosen Arbeitnehmer, die aus dem Krieg kamen. Man vereinbarte Betriebsräte und verwahrte sich gemeinsam gegen etwaige Versuche von staatlicher Seite, in die Koalitionsfreiheit hineinregieren zu wollen.
Die Arbeitgeberseite verzichtete darauf, weiterhin sogenannte "gelbe Gewerkschaften" zu fördern. Im Kaiserreich war die – in jüngster Zeit beispielsweise von Rainer Wendt wiederbelebte – Praxis, sich als Gewerkschafter außersyllagmatisch von der Arbeitgeberseite "kaufen" zu lassen, recht verbreitet gewesen.
Wenig vorausschauend war die Einigung zwischen Gewerkschafts- und Kapitalseite mit Blick auf die neue Klasse der Angestellten, seinerzeit noch als (private) "Schalterbeamte" bekannt. Ihnen war die hergebrachte Arbeiterbewegung meist zu schmutzig, abgestoßen auch vom symbolpolitischen Kult der Arbeiterklasse, roten Fahnen und Marx-Chinesisch. Angestellte zeigten sich später als vergleichsweise anfällig für den Nationalsozialismus.
Martin Rath, 1. Mai: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28367 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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