Das VG Berlin hat Diesel-Fahrverbote für die Hauptstadt vorgeschrieben. Damit reagieren die Richter auf die in ihren Augen unzureichenden Maßnahmen zur Luftreinhaltung. Die Berufung ist zugelassen, aber weitere Gerichte dürften folgen.
Auf elf Berliner Straßen darf voraussichtlich ab Sommer 2019 kein Diesel mit der Abgasnorm Euro 5 oder schlechter mehr verkehren. Das Berliner Verwaltungsgericht (VG) gab am Dienstagnachmittag einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) statt, die Fahrverbote gefordert hatte (Urt. v. 09.10.2018, Az. VG 10 K 207.16). Betroffen sind vorerst elf Streckenabschnitte.
Dabei handelt es sich um Abschnitte an der Leipziger Straße, Reinhardtstraße, Brückenstraße, Friedrichstraße, dem Kapweg, Alt-Moabit, der Stromstraße und Leonorenstraße. Für diese Stellen ist das Land Berlin nach dem Urteil des VG nun definitiv verpflichtet, in seinem Luftreinhalteplan Fahrverbote nachzutragen und zwar bis spätestens 31. März 2019. Anschließend hat man zwei bis drei Monate Zeit, um diese umzusetzen. In Kraft treten werden Fahrverbote damit bis Ende Juni 2019.
Der derzeit gültige Luftreinhalteplan 2011 bis 2017 und das Berliner Konzept zur Luftreinhaltung sähen "keine ausreichenden Maßnahmen zur Einhaltung des gemittelten Jahresgrenzwertes für Stickstoffdioxide von 40 µg/m3" vor, befand die 10. Kammer des VG. Damit ist Berlin die nächste deutsche Metropole, in der künftig Diesel-Fahrverbote gelten werden. Erst im September hatte das VG Wiesbaden dies auch für Frankfurt verfügt.
Weitergehende Fahrverbote denkbar
Und bei den nun vorgeschriebenen Fahrverboten muss es nicht bleiben: Das Gericht gab der Hauptstadt außerdem auf, für weitere 15 Km Strecke (insgesamt 117 Straßenabschnitte) zu prüfen, ob Fahrverbote für Diesel zur Erreichung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte erforderlich sind.
Im Hinblick auf die Frist zum Erlass des um die Fahrverbote und ggf. andere Maßnahmen aktualisierten Luftreinhalteplans bis 31. März 2019 war das Gericht zu einem Kompromiss gezwungen. Zwar wäre es wünschenswert, wenn schon früher Maßnahmen ergriffen würden, betonte die Kammer. Gleichwohl schreibe das Gesetz bei der Fortschreibung des Luftreinhalteplans eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor, weshalb ein früherer Zeitpunkt unrealistisch sei.
Der Umweltverband DUH hatte ursprünglich die Einführung von Fahrverboten in der gesamten Berliner Umweltzone gefordert, diese Forderung aber auf Hinweis der Kammer wieder zurückgenommen. Der Vorsitzende Richter Ulrich Marticke betonte bei der Verkündung, ein Fahrverbot für die gesamte Umweltzone, die große Teile der Innenstadt umfasst, sei nicht zwingend erforderlich, denn an vielen Orten in der Umweltzone würden die Grenzwerte eingehalten.
BVerwG hat Fahrverbote gebilligt
Im Februar dieses Jahres hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Fahrverbote für Diesel im Zweifel eine zulässige Maßnahme zur Luftreinhaltung in besonders belasteten Stadtgebieten sein können. Diesel gelten als eine der Hauptquellen für Luftverschmutzung in deutschen Innenstädten. Auch diese Entscheidung ging auf Klagen der DUH zurück.
Nachdem das Umweltbundesamt und Umweltverbände in Messungen für Diesel-PKWs mit der Abgasnorm Euro 6 gezeigt hatten, dass sie im realen Fahrbetrieb den Emissionsgrenzwert der Fahrzeugemissionen-Verordnung (VO Nr. 715/2007/EG) für Stickstoffoxid von 80 mg/km um das Fünffache, manchmal gar um das 24-Fache überschreiten, hatten die Verwaltungsgerichte Stuttgart und Düsseldorf 2017 auf Betreiben der DUH die Fortschreibung von Luftreinhalteplänen um Fahrtverbote angeordnet. Dagegen zogen die Städte vor das BVerwG, wo sie unterlagen. Dass es keine bundesrechtliche Grundlage für Fahrverbote in deutschen Innenstädten gebe, sei unschädlich, urteilten die obersten Verwaltungsrichter in Leipzig damals. Dass bislang trotz Ermahnung durch die EU-Kommission keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen worden seien, um in Deutschland für sauberere Luft zu sorgen, verletze Europarecht. Dann könne man sich nicht mehr auf eine fehlende nationalrechtliche Grundlage berufen.
In diesem Kontext ist nun auch die Entscheidung des VG Berlin zu verstehen, die die Politik weiter unter Druck setzen dürfte. Die große Koalition hatte sich nach langem Ringen in der vergangenen Woche auf neue Maßnahmen geeinigt, um Fahrverbote zu verhindern. Neue Kaufanreize sowie technische Nachrüstungen zielen auf 14 besonders belastete Städte wie München und Stuttgart. Vor allem bei den Nachrüstungen sind aber noch viele Fragen offen.
Aus Sicht von Rechtsanwalt Peter Kremer, der die DUH in dem Verfahren vor dem VG Berlin vertrat, hat das Gericht mit seinem Urteil bestätigt, "dass es nicht auf einen durchschnittlichen Wert ankommt, sondern dass der Grenzwert an jeder Stelle in der Stadt eingehalten werden muss. Jeder Anwohner kann das jetzt vom Senat für sein Haus verlangen." Der Berliner Senat müsse künftig nachweisen, "dass er mit streckenbezogenen Fahrverboten und den damit einhergehenden Ausweichverkehren das Problem der Luftbelastung in den Griff bekommt. Gelingt das bis Ende März 2019 nicht, wird der Senat um ein zonales Fahrverbot nicht herumkommen."
Weitere Städte dürften folgen
Der Streit um die Fahrverbote könnte in Berlin damit auch abseits des Parlaments noch weiter gehen: Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließ das VG die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg zu.
Dennis Kümmel, Rechtsanwalt in der Frankfurter Niederlassung der Kanzlei FPS und u. a. tätig im Umwelt- und Verwaltungsrecht sieht aber auch künftig wenig Chancen für die Kommunen, sich gegen Fahrverbote zu wehren: "Die Entscheidung aus Berlin war nur folgerichtig, denn die Vorgaben des BVerwG standen ja schon fest." Er geht deshalb davon aus, dass in absehbarer Zeit weitere Fahrverbote in deutschen Innenstädten folgen könnten, z. B. Darmstadt und Offenbach, wo ebenfalls Klagen der DUH anhängig sind - bei der gleichen Kammer, die schon die Fahrverbote für Frankfurt anordnete.
Auch das von der Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket werde daran wenig ändern: "Die Grenzwerte gibt es ja schon seit Jahren. Mittel- bis langfristig können die Maßnahmen vielleicht etwas bewirken, aber kurzfristig werden sie keine weiteren Fahrverbote verhindern können."
mam/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
VG Berlin beschränkt Straßennutzung ab 2019: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31403 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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