Um mehr Frauen in das Landesparlament zu bringen, hatte Thüringen im Wahlgesetz eine neue Paritätsregelung eingeführt. Die hielt einer Überprüfung durch die Landesverfassungsrichter nun aber nicht stand. Eine Entscheidung mit Signalwirkung?
Um den Frauenanteil im Landesparlament zu erhöhen, sollen Parteien in Thüringen ihre Kandidatenlisten für Landtagswahlen abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen. Doch nun hat der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) des Landes in Weimar diese Regelung für nichtig erklärt (Urt. v. 15.07.2020, Az. 9/2020 - VerfGH 2/20). Die Entscheidung erging auf einen Antrag der AfD-Landtagsfraktion hin.
Zur Begründung führte der Präsident des VerfGH, Stefan Kaufmann, während der Verkündung aus, die Freiheit der Wahl verlange, dass Wahlen nicht unter staatlichem Zwang und Druck durchgeführt werden. Die Richter hätten das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und die Chancengleichheit der Parteien betroffen gesehen. Die Wähler seien durch die Paritätsregelung nicht mehr darin frei gewesen, die Zusammensetzung des Landtags zu beeinflussen. Auch könnten die Parteien wegen der Regelung nicht mehr das ihnen am besten geeignet erscheinende Personal einsetzen, so der VerfGH.
Diese Eingriffe sind nach Ansicht der Richter auch nicht gerechtfertigt. Insbesondere reiche für so eine Paritätsregelung nicht aus, auf die in der thüringerischen Landesverfassung fesgeschriebene Pflicht zur Gleichstellung von Mann und Frau zu verweisen.
In Brandenburg wird bald ebenfalls entschieden
Der Thüringer Landtag hatte die Quotierung der Landeslisten im vergangenen Jahr mit den Stimmen von Linken, SPD und Grünen beschlossen. Ziel der Gesetzesnovelle war es, den Anteil von Frauen im Parlament perspektivisch zu erhöhen. Auch in anderen Bundesländern fordern Politiker solche Regelungen. Verfassungsrechtliche Bedenken waren dabei schon lange vorab geäußert worden.
Als erstes Bundesland hatte Brandenburg noch vor Thüringen im Januar 2019 ein Paritätsgesetz auf den Weg gebracht. Die Entscheidung aus Thüringen könnte nun Signalwirkung auf die ähnliche Regelung in Brandenburg entfalten, wo das Verfassungsgericht im August über das dort beschlossene Paritätsgesetz entscheidet.
Insbesondere die Thüringer AfD hatte sich gegen die Paritätsregelung gewehrt. Sie ist der Ansicht, dass durch die festgeschriebene Quotierung das Recht der Parteien beschränkt werde, selbst zu bestimmen, welche Kandidaten sie für die Landtagswahlen aufstellen. Die AfD zeigte sich hocherfreut über das Urteil. Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel twitterte, die etablierten Parteien hätten grundlegende Rechte verletzt.
Stephan Brandner, stellvertretender Bundesvorsitzender der AfD und Thüringer Bundestagsabgeordneter, sieht in dem Urteil eine "deutliche Klatsche" für die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen, deren Protagonisten man nun berechtigt als "Verfassungsbrecher" bezeichnen könne. "Das aktuelle Urteil sehe ich einmal mehr als Sieg für den Rechtsstaat, für unsere Demokratie", so Brandner gegenüber LTO.
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jan-Marco Luczak, teilte über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, dass die Wählerinnen und Wähler frei entscheiden müssten, wem sie ihr Vertrauen aussprächen. Zwar bräuchte es "mehr Frauen in Politik und Parlamenten", der Weg über das Wahlrecht sei jedoch "der falsche", so Luczak.
Hingegen äußerte die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds (djb), Prof. Dr. Maria Wersig, gegenüber LTO ihr Bedauern: "Es ist bedauerlich, dass mit der heutigen Entscheidung eine historische Chance verpasst wurde, eines der ersten Paritätsgesetze ausgerechnet gegen Angriffe der AfD zu verteidigen. Die verfassungsrechtliche Debatte ist damit nicht beendet. Die gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen bleibt ein Thema - hier hat Thüringen zu Recht Handlungsbedarf gesehen."
Die Thüringerin und Grüne-Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt sagte gegenüber LTO: "Das Urteil ändert nichts daran, dass die Parlamente die gesellschaftliche Realität nicht abbilden und zu wenige Frauen vertreten sind. Es ist Aufgabe von Parteien, das zu lösen. Deshalb werden wir noch im September einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen, mit dem eine Kommission eingesetzt werden soll, die Vorschläge macht, wie ein Paritätsgesetz rechtssicher umgesetzt werden kann."
Insgesamt mehr Männer als Frauen in den Parlamenten
In den deutschen Landesparlamenten sind teils deutlich mehr Männer als Frauen vertreten. Spitzenreiter in Sachen Parität ist Hamburg, wo 43,9 Prozent der Abgeordneten Frauen sind, wie eine Übersicht der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg zeigt. In Sachsen-Anhalt - dem Schlusslicht - sind dagegen nur 21,8 Prozent der Abgeordneten weiblich.
Auf Bundesebene hatten Frauenministerin Franziska Giffey und die damalige Justizministerin Katarina Barley (beide SPD) im vergangenen Jahr dafür geworben, eine stärkere Vertretung von Frauen im Bundestag durchzusetzen. In Frankreich gibt es bereits seit dem Jahr 2000 ein Parité-Gesetz.
vbr/hs/dpa/LTO-Redaktion
VerfGH in Weimar: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42202 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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