Wahlkampf braucht Musik – aber nicht alle Künstler wollen, dass ihre Songs dort landen. So Herbert Grönemeyer. Er verbietet die Nutzung von “Zeit, dass sich was dreht” der CDU und den Grünen. Geht das urheberrechtlich?
Der Wahlkampf ist da und seit dem Ampel-Aus am Mittwoch früher als gedacht. Wenn nicht schon vorher in den Parteizentralen emsig an Konzepten gearbeitet wurde, wie man die Aufmerksamkeit der Bevölkerung am besten auf sich lenkt, dann jetzt. Und ein Mittel, das immer klappt: Musik. Nur zu gerne nutzen Politikerinnen und Politiker aktuelle Hits oder Klassiker, um sich in Szene zu setzen, Emotionen zu wecken oder Statements zu unterstreichen. So erst kürzlich die Linke-Politikerin Caren Lay, die den Hit “Bauch Beine Po” von Shirin David umdichtete, um damit eine Message gegen Bodyshaming zu senden.
Den dahinterstehenden Künstlerinnen und Künstlern passt das natürlich nicht immer. So gab es aus den USA mehrere Meldungen von Stars wie den Rolling Stones, die Donald Trump die Nutzung ihrer Songs im Wahlkampf untersagt haben.
Und auch im deutschen Wahlkampf ist der Streit darum, ob man Songs verwenden darf, jetzt angekommen. So spielte die Junge Union (JU) einen neuen Remix des Hits “Zeit, dass sich was dreht” von Herbert Grönemeyer ab, als der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bei einem Treffen Ende Oktober in die Halle einlief. Dazu wurde nach dpa-Informationen anmoderiert: "Begrüßt mit mir den nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland".
Herbert Grönemeyer, einer von mehreren Komponisten des Songs, hat das gar nicht gepasst. Er forderte mit seinem Medienanwalt Christian Schertz (Schertz Bergmann Rechtsanwälte) die CDU auf, den Song "Zeit, dass sich was dreht" nicht mehr für den Wahlkampf für Friedrich Merz zu nutzen, öffentlich aufzuführen oder sonst zu verbreiten. Die CDU hat daraufhin ein Youtube-Video von dem Auftritt verändert, wie die dpa am Donnerstag vermeldet hat.
Wenig später wird bekannt, dass Grönemeyer auch Die Grünen und Robert Habeck aufgefordert hat, den Song in Zukunft nicht mehr zu verwenden. Habeck hatte nach seiner Rückkehr auf X (ehemals Twitter) ein viral gegangenes Video für seine Kanzlerkandidatur veröffentlicht. Dort ist zu sehen, wie er ein Textmanuskript redigiert. Dazu summt er die Melodie von "Zeit, dass sich was dreht". Das Video ist nach wie vor abrufbar.
Nutzung von rechten Parteien kann untersagt werden
Grönemeyer hat also den Parteien die Nutzung des Liedes verboten – aber darf er das?
Neu ist die Frage nicht, inwiefern die Nutzung von Songs im Wahlkampf untersagt werden kann. So musste sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) bereits damit beschäftigen, ob die Band Die Höhner das Abspielen ihrer Songs in Wahlkampfauftritten verbieten kann. Allerdings gingen die Höhner gegen die NPD vor und damit nicht gegen irgendeine Partei, sondern gegen eine rechtsextreme, verfassungsfeindliche Partei. Diesbezüglich hat der BGH im Jahr 2017 klar entschieden, dass die Nutzung untersagt werden kann (Beschl. v. 11.05.2017 - I ZR 147/16).
Der BGH bezieht sich dabei auf § 14 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG). Dieser reiht sich ein in die Urheberpersönlichkeitsrechte. Das sind die Rechte, die immer beim Urheber verbleiben und nur nach dem Tod an einen Rechtsnachfolger übertragen werden – das zeigt, wie wichtig sie für den Urheber sind. § 14 UrhG regelt die “Entstellung”. Demnach hat "der Urheber das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden." Im Fall der Nutzung eines Songs im Wahlkampf der NPD bejaht der BGH die Entstellung: "Die Verwendung von Musikwerken im Wahlkampf einer politischen Partei, und sei es nur durch einen Transfer der von den Werken ausgehenden Stimmung, ist besonders geeignet, die Interessen der Urheber zu beeinträchtigen. Dabei muss der Urheber von Unterhaltungsmusik mit der Vereinnahmung durch verfassungsfeindliche Parteien nicht rechnen", heißt es in dem Höhner-Beschluss.
Auch Grönemeyer bezieht sich auf § 14 UrhG. Wie sein Anwalt Schertz LTO mitteilt, ergibt sich der Unterlassungsanspruch sowohl aus dem Persönlichkeitsrecht als auch aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht. Das Selbstbestimmungsrecht Grönemeyers sei verletzt.
Bei Nutzung durch rechtsextremer Parteien ist die Rechtslage nach dem BGH-Urteil klar, aber gilt das auch für die Benutzung von Songs im Wahlkampf von nicht rechtsextremen Parteien, wie eben CDU und den Grünen?
“Grönemeyer-Fall kein Selbstgänger"
“Ein Selbstgänger ist der Grönemeyer-Fall nicht, da man genau schauen muss, wo die Grenze zur Entstellung verläuft”, meint Rechtsanwalt Stephan Mathé, MBA, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, gegenüber LTO. Laut Mathé könne es zu großer Rechtsunsicherheit führen, wenn man als Künstler:in bei jeder Abweichung von den eigenen Überzeugungen die Nutzung von Musikstücken nachträglich verbieten könnte. “Es ginge wohl zu weit, wenn man etwa VW nach dem Abgasskandal sämtliche Musiknutzungen auf Webseiten, in TV-Spots etc. hätte untersagen können oder ein kleiner Ortsverein einer Partei auf der Weihnachtsfeier keine Musik mehr spielen könnte”.
Auch Prof. Dr. Christian-Henner Hentsch, stellvertretender Studiengangsleiter für Medienrecht und Medienwirtschaft (LL.M.) an der TH Köln, sieht es kritisch, im Wahlkampf zu schnell von einer Entstellung auszugehen: “Aus meiner Sicht reicht lediglich die Aufführung als Hintergrundmusik für eine Entstellung nicht aus – sonst läge es ja in der Hand des Urhebers nach jeder Aufführung seiner Musik im Wahlkampf zu entscheiden, ob das nun zulässig war oder nicht.”
Entstellung nur bei CDU-Nutzung, nicht aber bei Grünen?
Bezugnehmend auf die Nutzung von “Zeit, dass sich was dreht” durch die CDU schätzt Mathé allerdings ein: “Im Fall von Herrn Grönemeyer indes ist der Einlauf des umstrittenen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz ein Vorgang mit erheblicher Außenwirkung, sodass ich in der Gesamtabwägung zu einem Untersagungsrecht zugunsten von Herrn Grönemeyer kommen würde”, so der Urheberrechtsexperte von Mathé Law Firm in Hamburg.
Dass Grönemeyer sein Lied bei Nutzung durch die CDU mit Merz als Kanzlerkandidat als entstellt ansieht, ist angesichts seiner bekannten linken politischen Haltung nachvollziehbar. So rechnete Grönemeyer bereits 1986 mit dem Lied “Lächeln” mit CDU- Bundeskanzler Helmut Kohl ab ("Ein Lächeln liegt auf diesem Land, grinst unerträglich ignorant"). Doch liegt eine Entstellung des Liedes auch bei Nutzung durch Die Grünen vor, obwohl Grönemeyer bekennender Fridays-for-Future-Unterstützer ist? Gleichwohl könnte auch hier eine Berufung auf § 14 UrhG Erfolg haben. Grönemeyers Anwalt Schertz teilte der dpa mit, dieser wünsche grundsätzlich keine Vereinnahmung seiner Person oder seiner Lieder durch politische Parteien, noch dazu ohne seine Zustimmung. Eine solche Rechtsauffassung stützt ein Urteil des Oberlandesgerichts Thüringen zur Nutzung des Helene Fischer Hits “Atemlos durch die Nacht” im NPD-Wahlkampf. Dort führt das Gericht aus: “Darauf, um welche politische Partei es sich handelt, kommt es nach der Auffassung des Senats dabei nicht maßgeblich an" (Urt. v. 22.05.2015, Az. 2 U 738/14).
Die Gema hilft nicht zwingend weiter
Sollte eine Entstellung nach § 14 UrhG vorliegen, hilft es den Parteien auch nicht, sich auf eine von ihnen erworbene Lizenz bei der Gema zur Nutzung des Songs zu berufen.
In Deutschland überträgt ein Urheber in der Regel zunächst Lizenzen an seinen Verwertungsrechten an Verwertungsgesellschaften, bei Musik an die GEMA. Diese wiederum vergibt dann gegen Entgelt Lizenzen an diejenigen, die die Musik nutzen wollen. So kann eine Partei eine Lizenz erwerben, den Song öffentlich abspielen zu dürfen. Ein Verwertungsrecht ist etwa das Aufführungsrecht (§ 19 UrhG), also das Recht, das die CDU zum Beispiel brauchte, um “Zeit, dass sich was dreht” auf ihrem Treffen mit Merz abspielen zu dürfen.
Allerdings sei es beispielsweise möglich, bei der Gema Wahlkampfauftritte von der Lizenzierung auszunehmen, so Hentsch. “In diesem Fall liegen die Rechte also noch beim Urheber, der dann entscheiden kann, ob er unrechtmäßige Nutzungen wie diese verbietet oder eben nicht”. Ob Grönemeyer Wahlkampfauftritte von der Lizenzierung ausgenommen hat, ist unklar. Eine entsprechende Anfrage von LTO an die Gema blieb unbeantwortet.
Selbst wenn Grönemeyer die entsprechenden Verwertungsrechte jedoch an die GEMA vollumfänglich lizenziert hätte und die CDU/JU sowie Die Grünen wiederum bei der GEMA eine Lizenz erworben haben, bliebe ihm der Weg offen, sich auf das Urheberpersönlichkeitsrecht zu berufen.
Merkel macht vor, wie es auch gehen kann
Ein Sonderfall könnte noch das Video von Robert Habeck sein. Da es Teil seiner Kampagne für die Kanzlerkandidatur ist, dürfte es sich um Wahlwerbe-Video handeln – und um Songs für Werbung zu nutzen, reicht es nicht aus, eine Lizenz bei der Gema zu erwerben. Für Werbung muss der Urheber oder sein Musikverlag ausdrücklich die Zustimmung erteilen. Stuft man die Songverwendung also als Werbung ein, könnte sich Grönemeyer zusätzlich auch auf fehlende Verwertungsrechte stützen.
Ob es zu weiteren rechtlichen Schritten kommt, ist derzeit unklar. Eine charmante Lösung des Dilemmas machte Angela Merkel, ebenfalls CDU, jedoch bereits vor. Sie musste sich schon einmal mit den verärgerten Toten Hosen auseinandersetzen, als deren Song "Tage wie diese" im Jahr 2013 bei der CDU abgespielt wurde. Medienberichten zufolge meldete sich Merkel telefonisch beim Sänger Campino und entschuldigte sich dafür, auf "Ihrem Lied herumgetrampelt" zu sein.
"Zeit, dass sich was dreht": . In: Legal Tribune Online, 09.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55826 (abgerufen am: 12.11.2024 )
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