Wer mehr als 1,0 ng/ml THC im Blut aufweist, handelt ordnungswidrig. Diese Regel gilt laut dem BGH auch dann, wenn der Cannabiskonsum schon länger zurück liegt. Es sei denn, eine "gehörige Selbstprüfung" ergab etwas anderes.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass bei einer den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml erreichenden THC-Konzentration im Blut auf ein objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten im Sinne des § 24a Abs. 2 und 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG) geschlossen werden kann (Beschl. v. 14.02.2017, Az. 4 StR 422/15). Nach der Vorschrift handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung von berauschenden Mitteln ein Fahrzeug führt.
In dem Fall wurde ein Mann zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt, weil seine Blutwerte bei einer Verkehrskontrolle jenseits des Zulässigen lagen. Zudem wurde gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Das Amtsgericht ging dabei allein aufgrund des gemessenen Werts von 1,5 ng/ml THC davon aus, dass der Mann hinsichtlich der Cannabiswirkung zum Zeitpunkt der Fahrt fahrlässig handelte. Der Mann äußerte sich nicht zu den Vorwürfen, wehrte sich aber mit einer Rechtsbeschwerde - dass er fahrlässig gehandelt habe, sei nicht tragfähig begründet, meinte er.
Ob und unter welchen Voraussetzungen der Tatrichter bei der Prüfung von §24a Abs. 2 und 3 StVG allein aus der THC-Konzentration im Blut auf ein objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten schließen darf, bewerteten die Oberlandesgerichten bisher unterschiedlich. Der BGH hat nun aber klargestellt: Beim Fehlen gegenläufiger Beweisanzeichen darf diese Schlussfolgerung gezogen werden.
BVerfG: Nicht jede THC-Konzentration im Blut reicht
Nach § 24a Abs.2 StVG ist zunächst einmal objektiv festzustellen, ob ein Kfz "unter der Wirkung" eines berauschenden Mittels geführt wird. "Sehr feine Messmethoden ermöglichen auch einen sehr weitreichenden Nachweis geringster Mengen von THC im Blut", erklärte Rechtsanwalt Gunnar Semrau gegenüber LTO.
Dabei soll aber nicht jede noch so geringe Konzentration zu einer Sanktion führen. "Seit jeher wird daher ein Konzentrationswert gesucht, der es als möglich erscheinen lässt, die Fahrtüchtigkeit eines Verkehrsteilnehmers einzuschränken. Dies hat u.a. das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 (Anm. d. Red.: Beschl. v. 21.12.2004, Az. 1 BvR 2652/03) entschieden und eine THC-Konzentration deutlich oberhalb des Nullwerts gefordert."
Regelmäßig werde, so der Fachanwalt für Verkehrsrecht, dabei auf die Arbeiten der Grenzwertkommission der toxikologischen Institute und Experten zurückgegriffen, die eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit erst ab einer THC-Konzentration von 1 ng/ml für möglich hält. "Es gibt keine entsprechend gesicherten wissenschaftlichen Studien darüber, dass Kfz-Führer mit darunter liegenden Konzentrationen im Straßenverkehr Cannabis-bedingt auffällig sind. Es ist andererseits auch nicht so, dass man mit einer höheren Konzentration als 1,5 ng/ml THC 'bekifft' sein muss. Vielmehr ist aus medizinischer Sicht eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit ab dieser Konzentration möglich".
BGH: 1,0 ng/ml reichen aus - es sei denn ...
Dem BGH genügt das. Allein aus der Überschreitung des analytischen Grenzwertes ergibt sich regelmäßig der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Tatbegehung, so der 4. Strafsenat am Dienstag. Der Fahrlässigkeitsvorwurf des § 24a Abs. 3 StVG beziehe sich auf die Wirkung des Cannabis im Zeitpunkt der Fahrt. Hierfür sei nicht, wie von einigen OLG gefordert, erforderlich, dass der Betroffene spürbare Auswirkungen des konsumierten Cannabis wahrnehmen kann oder zu einer näheren physiologischen oder biochemischen Einordnung der Wirkungen von Cannabis in der Lage ist, so der BGH. Vielmehr reiche es aus, dass er "bei der ihm möglichen Beachtung der gebotenen Sorgfalt zu der Erkenntnis gelangen kann, unter der Wirkung einer zumindest den analytischen Grenzwert erreichenden THC-Konzentration im Blut zu stehen."
Den Rückschluss aus der THC-Konzentration muss der Cannabis-Kosument entkräften. "Man sollte im jeweiligen Einzelfall prüfen, welche Besonderheiten vorliegen, die den Betroffenen darauf vertrauen lassen konnten, dass er sich nicht subjektiv sorgfaltswidrig verhält." So könne die Drogeneinnahme unbewusst erfolgt sein oder der Betroffene habe sich Kenntnis darüber verschafft, dass die Wirkung des von ihm eingenommenen Cannabis nicht mehr andauert, er das Erreichen des Grenzwertes bei Fahrtantritt ausschließen kann und so Gewissheit von seiner Fahrtüchtigkeit erlangen konnte", so Verkehrsrechtler Semrau.
Er rät mit Blick auf die Entscheidung des BGH aber davon ab, dabei allzu sehr auf den zeitlichen Abstand zwischen Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr abzustellen. "Das kann in diesem Zusammenhang sicherlich auch eine Rolle spielen. Eine Faustregel gibt es aber dazu nicht. Kaum ein Gericht wird Zeitabstände von unter 24 Stunden anerkennen." Neben der reinen Menge sei die Aufbaumenge und Abbaugeschwindigkeit im jeweiligen Einzelfall abhängig von der persönlichen Konstitution des Betroffenen, der Art des Konsums und der Wirkstoffkonzentration des jeweiligen Produktes.
Auch der BGH blieb am Dienstag dazu reichlich abstrakt. Vor der Fahrt solle man sich, so der Senat, mit einer "gehörigen Selbstprüfung" vergewissern, den Grenzwert nicht zu überschreiten. Soweit erforderlich, sollte man dazu auch fachkundigen Rat einholen und, wenn man sich nicht sicher ist, lieber nicht ins Auto steigen.
Pia Lorenz und Alexander Cremer, BGH legt sich fest: . In: Legal Tribune Online, 04.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22571 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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