Obwohl auf Bundesebene die Teillegalisierung von Cannabis beschlossen wurde, gelten in Bayern fürs Kiffen strengere Regeln als anderswo. Ob das juristisch in Ordnung ist, muss nun voraussichtlich der Verfassungsgerichtshof überprüfen.
Die strengen bayerischen Sonderregeln fürs Kiffen werden zum Fall für den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH). Ein parteiübergreifendes Bündnis stellte am Mittwoch eine Popularklage gegen das bayerische Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz vor.
Die Argumentation: Die bayerische Staatsregierung stelle sich rechtswidrig gegen den beschlossenen Paradigmenwechsel im Umgang mit Cannabis, den der Bundesgesetzgeber vorgegeben habe. Die progressive Drogenpolitik werde konterkariert und die Stigmatisierung von Cannabis-Patienten sowie -Konsumenten werde fortgesetzt, so das Bündnis.
Bayerns eigene Cannabisregeln
In Bayern ist es beispielsweise auf Volksfesten – so auch auf der derzeit laufenden Wiesn – absolut verboten, Cannabis zu rauchen. Gleiches gilt in der Gastronomie, selbst in ausgewiesenen Raucherräumen und -bereichen, und auch für Außenbereiche von Gaststätten und Cafés sowie Biergärten.
Städte und Gemeinden dürfen dieses Verbot zudem nach eigenem Ermessen auf bestimmte öffentliche Flächen ausweiten. Sie können zum Beispiel in Stadtparks das Rauchen, Erhitzen und Verdampfen von Cannabis verbieten. Im Englischen Garten in München ist das Cannabisrauchen ebenfalls seit Monaten komplett verboten – das hat die Staatsregierung als Herrin über die bayerische Schlösserverwaltung eigenständig durchgesetzt.
Die umstrittene Teillegalisierung von Cannabis gilt seit dem 1. April, LTO berichtet umfassend zu sämtlichen Aspekten der Cannabis-Legalisierung. Danach sind Besitz und Anbau der Droge für Volljährige zum Eigenkonsum erlaubt, aber nur in begrenzten Mengen und mit Tabuzonen fürs Kiffen etwa auf Spielplätzen, in Schulen und in Sichtweite davon. Wer dagegen fahrlässig oder mit Vorsatz verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Bayern hat dabei von Anfang an versucht, Spielräume für möglichst viele Verschärfungen dieser auf Bundesebene beschlossenen Regeln zu finden.
Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) erklärte, man sehe der Klage gelassen entgegen. "Denn wir sind überzeugt, dass das bayerische Gesetz zur Begrenzung der Folgen des Cannabiskonsums verfassungskonform und auch in der Sache richtig ist."
Mehrere Unterstützer für die Klage
Die Klage wird neben dem Suchttherapeuten Benjamin Lettl unter anderem auch von den Bundestagsabgeordneten Carmen Wegge (SPD), Kristine Lütke (FDP) und Ates Gürpinar (Linke) unterstützt. Diese Abgeordneten sind zugleich die zuständigen Berichterstatter zu dieser Thematik für ihre Fraktionen. Die insoweit zuständige Abgeordnete der Grünen, Kirsten Kappert-Gonther, fehlt hier wohl nicht aus Überzeugungsgründen, sondern weil sie – anders als ihre drei Kollegen – nicht aus Bayern kommt.
Die Popularklage ist in Art. 98 S. 4 der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) vorgesehen. Mit ihr kann geltend gemacht werden, dass eine Rechtsnorm des bayerischen Landesrechts die Grundrechte der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränkt. Insoweit handelt es sich bei dieser Klageart um einen bayerischen Sonderfall und eine seltene Abweichung von der ansonsten in der deutschen Dogmatik geltenden Klagebefugnis, die in der Regel eine individuelle Betroffenheit erfordert.
Konkret sollen die entsprechenden Regelungen des bayerischen Gesundheitsschutzgesetzes (GSG), des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) sowie der Verordnung über die staatliche Parkanlage Englischer Garten, Hofgarten und Finanzgarten in München für mit der Bayerischen Verfassung unvereinbar und nichtig erklärt werden.
Hat Bayern überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für einen Alleingang?
Die Popularklage moniert, dass schon keine Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Bayern für das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz gegeben sei. Der Konsum von Cannabis sei als Sachmaterie abschließend, auch mit Blick auf Jugend- und Gesundheitsschutz, durch den Bund im Cannabisgesetz (CanG) und im Konsumcannabisgesetz (KCanG) geregelt worden. Dem Bund komme insoweit gemäß Art. 72 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu.
"Der Bundesgesetzgeber kann nicht gewollt haben, dass durch abweichende Regelungen einzelner Bundesländer in diese Normensystematik eingegriffen wird. Denn hierdurch bestünde die Gefahr, dass einzelne Bundesländer die vom Bundesgesetzgeber vorgenommene Abwägung untergraben und durch eigene Wertungen ersetzen; folglich muss nach dem Willen des Bundesgesetzgebers eine abschließende Kodifikation erfolgt sein, damit einzelne Bundesländer die vollständige Neustrukturierung des Umgangs mit Cannabis durch den Bundesgesetzgeber und die damit einhergehenden Abwägungen nicht unterlaufen", heißt es dazu in der Klageschrift, die LTO vorliegt.
Weiterhin meinen die Kläger, dass sämtliche angegriffene Normen gegen das Prinzip der Bundestreue und das Rechtsstaatsprinzip verstießen. Denn die Normen stellten einen rechtsstaatswidrigen Widerspruch zur Gesamtkonzeption des Bundes in Form des CanG dar und würden die abgewogene konzeptionelle Entscheidung des Bundesgesetzgebers verfälschen.
Indem die bayerischen Normen den Cannabiskonsum aus der Öffentlichkeit verbannen wollten, werde "die Grundkonzeption des Bundes, einen eigenverantwortlichen Umgang mit Cannabis für Erwachsene zu fördern, grundlegend unterlaufen", so die Klageschrift.
Verletzung der Berufsfreiheit und anderer Grundrechte
Die Kläger sehen auch die Berufsfreiheit (Art. 101 BV) von Gastronomen verletzt, soweit mit Cannabiskonsumverboten die Gaststättenbetreiber in ihrem Handeln eingeschränkt werden. In der Klageschrift heißt es dazu: "Ein striktes Verbot des Konsums von Cannabis durch Rauchen oder Verdampfen in Außenbereiche von Gaststätten und auf Volksfestgeländen ist nicht erforderlich, da mehrere relativ mildere Mittel bestehen. Denn es wäre gleich effektiv und gleichzeitig ein geringerer Eingriff in die Berufsfreiheit, den Betreibenden freizustellen, ob diese den Konsum von Cannabis in Außenbereichen verbieten oder nicht und insoweit lediglich eine Kennzeichnungspflicht von Gaststätten zu normieren. Dann könnten Nichtrauchende vor dem Betreten der Gaststätte bewusst entscheiden, ob sie sich Cannabisrauch oder -dampf aussetzen wollten oder nicht."
Insbesondere stören sich die Kläger vor dem Hintergrund von Art. 118 Abs. 1 S. 1 BV (Gleichheitsgrundsatz) auch an einer vom bayerischen Gesetzgeber behaupteten Ungleichbehandlung mit Alkohol- und Nikotinkonsum. Der Konsum von Cannabis sei mittlerweile "derart verbreitet, dass eine völlig andere Behandlung als Nikotin oder Alkohol der Realität nicht mehr gerecht wird".
Auch auf medizinisches Cannabis geht die Klageschrift explizit ein. Für dieses sei ein Konsumverbot erst recht verfassungswidrig, "da gleichzeitig das Freiheitsrecht der körperlichen Unversehrtheit betroffen ist, ein nicht zur Disposition stehender personenbezogener Anknüpfungspunkt besteht (Cannabis als Medikation) und ein in Art. 3 Abs. 3 GG genanntes Rechtsgut berührt ist". Verfassungsrechtlich lasse es sich nicht rechtfertigen, einerseits den medizinisch indizierten Cannabiskonsum zu verbieten, zugleich aber den nur aus Genusszwecken erfolgenden Tabakkonsum zu gestatten.
Die wenigsten Popularklagen haben Erfolg
Wann mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu rechnen ist, bleibt abzuwarten. Statistische Daten zur durchschnittlichen Verfahrensdauer werden vom Gericht nicht erhoben.
Eine schnellere Entscheidung des Gerichts zum Thema würde es geben, wenn mit der Klage auch eine einstweilige Anordnung verbunden worden wäre, die bayerischen Regelungen jedenfalls bis zur Entscheidung über die Hauptsache nicht anzuwenden. "Der Verfassungsgerichtshof kann auch im Popularklageverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (vgl. Art. 26 Abs. 1 VfGHG)", so die Auskunft des Gerichts auf LTO-Anfrage.
Was die Erfolgsquote der Klage anbelangt, können sich die Initiatoren der Cannabisklage zumindest statistisch gesehen nicht allzu große Hoffnungen machen. So beträgt nach Angaben des Verfassungsgerichts gegenüber LTO die Erfolgsquote im langjährigen Durchschnitt bei Popularklagen gerade einmal neun Prozent. 2023 hatte keine der 13 Popularklagen Erfolg, über die das bayerische Verfassungsgericht zu entscheiden hatte.
jb/hs/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
Söders umstrittener Cannabis-Kurs: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55553 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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