Das Gefängnis schreckte ihn nicht ab. Der durch Netflix bekannte "Kinderzimmerdealer" Maximilian Schmidt alias Shiny Flakes eröffnete einfach einen neuen Drogenshop: Candylove. Nach Urteil des LG Leipzig war nun der BGH an der Reihe.
Im Jahr 2013 begann in einem unscheinbaren Kinderzimmer im Leipziger Stadtteil Gohlis eine Geschichte, die später weltweit Schlagzeilen machte. Eine Geschichte, die so unglaublich ist, dass Netflix nicht nur eine Dokumentation hierüber, sondern gleich auch eine dreiteilige Hochglanz-Serie mit dem programmatischen Titel How to Sell Drugs Online (Fast) gedreht hat:
Im Alleingang hatte Maximilian Schmidt von 2013 bis 2015 den Internetshop “Shiny Flakes” betrieben. Über eine Tonne verschiedenster Drogen – von Cannabis bis Kokain – gingen dabei durch seine Hände. Wie etwa bei Amazon konnten Kunden sich durch das Sortiment klicken, eine für sie passende Droge aussuchen, die Bestellung abschicken und online bezahlen. Die Ware wurde sodann von Schmidt abgewogen, verpackt und in Briefen und Päckchen anonymisiert per Post verschickt. Etwa vier Millionen Euro soll er dabei umgesetzt haben.
Das Landgericht (LG) Leipzig verurteilte Schmidt 2015 allerdings wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach §§ 29, 29a Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren (Urt. v. 02.11.2015; Az. 3 KLs 131 Js 5926/15). Nach vier Jahren und sieben Monaten wurde er wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen.
Einen zweiten Drogenshop in Haft aufgebaut
An Dreistigkeit wohl schwer zu überbieten, baute Schmidt – womöglich aus Langeweile – noch in der Haft seinen nächsten Drogenshop namens “candylove” auf. Diesmal war er jedoch nicht alleine. Mit Hilfe von einigen späteren Mitangeklagten wurden im Zeitraum von 2019 bis 2021 etwa 20 Kilogramm Betäubungsmittel mit über 400 Postsendungen verschickt. Die Idee soll von Friedemann G. ausgegangen sein – Schmidt und er hatten sich im offenen Vollzug kennengelernt.
In einer zweiten Runde verurteilte das LG Schmidt sowie Friedemann G. wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach §§ 29, 29a BtMG zu viereinhalb bzw. knapp sechs Jahren Freiheitsstrafe (Urt. v. 17.05.2023; Az. 8 KLs 105 Js 34746/19). Zwei “Mitarbeiter” des Drogenversandhandels, Jens M. und Julius M. wurden zudem wegen Beihilfe verurteilt. Der ebenfalls angeklagte Rechtsanwalt R. wurde freigesprochen. LTO berichtete ausführlich über den gesamten Prozess.
Gegen sämtliche Entscheidungen hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt – und dies mit einigem Erfolg. Der fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschied an diesem Dienstagmittag, das Urteil, soweit es Schmidt, Friedemann G. und Jens M. betreffe, aufzuheben (Urt. v. 05.11.2024; Az. 5 StR 599/23). Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch bestehen. Das Verfahren wurde an eine andere Kammer des LG Leipzig zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
Vor allem die Frage nach der Bande bleibt
Maßgeblich dafür war, dass die Vorinstanz eine Verurteilung wegen bandenmäßiger Begehung nicht erörtert habe, so die Vorsitzende Richterin Gabriele Cirener. Hintergrund hierfür ist, dass nur Schmidt, G. und Rechtsanwalt R. als Bande angeklagt gewesen waren. Nachdem R. jedoch – aufgrund eines Beweisverwertungsverbots –von einer Beteiligung freigesprochen wurde, blieben nicht mehr genug Haupttäter für eine Bande übrig.
Damit fiel der Kernvorwurf der bandenmäßigen Begehung, obwohl hierzu bereits im Prozess Uneinigkeit herrschte. Obgleich auch Gehilfen grundsätzlich Teil einer Bande sein können, sah das LG – anders als die Staatsanwaltschaft – die Voraussetzungen der Bandenmitgliedschaft bei Jens M. und Julius M. nicht als erfüllt an – diese hätten ausschließlich nach Weisungen gehandelt.
Die Vorsitzende Richterin des BGH sprach jedoch am Dienstag in Hinblick auf die Tätigkeit der ebenfalls verurteilten “Mitarbeiter” von einem “Personenkonglomerat”, bei dem die Erörterung einer Bandenabrede sich aufdrängen müsse.
Darüber hinaus habe die Vorinstanz – wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend gerügt – eine Besitzstrafbarkeit von Jens M. nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht erwogen. Dieser habe beim Portionieren und Abpacken zeitweise über die Drogen verfügt. Außerdem wurden auf seinen Namen Bestellungen in eine “Bunkerwohnung” geliefert, in der Jens M. sich aufhielt. Für ihn komme also neben der Teilnahme auch eine Täterschaft in Frage. Auch die Prüfung einer unerlaubten Ausfuhr von Substanzen nach dem BtMG habe das LG Leipzig versäumt.
Cannabisgesetz und „Klatsche“ für die Staatsanwaltschaft
Neben der Staatsanwaltschaft hatten auch Schmidt und G. Revision eingelegt. Auch diese war teilweise erfolgreich. Sie hatten zutreffend gerügt, dass sich die Rechtslage mittlerweile geändert habe. Inzwischen sei das Konsumcannabisgesetz (KCanG) in Kraft getreten. Der vom Urteil umfasste Handel mit 2,64 Kilogramm Haschisch falle nun nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz, sondern unter das KCanG, welches einen milderen Strafrahmen vorsehe. Dies sei nun vom LG – das ohnehin neu zu entscheiden habe – anderweitig rechtlich zu würdigen, so die Vorsitzende. Die übrigen Anträge der Revision verwarf der Senat.
Weniger erfolgreich war der Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft bezüglich des Freispruchs von Rechtsanwalt R. Hier fielen seitens der Vorsitzenden einige scharfe Worte. Dieser sei bereits formal unzulässig sowie in seiner Begründung mangelhaft. Der Vortrag habe mit einer “wahllos aneinandergereihten Darstellung des Akteninhalts” den Begründungsanforderungen der Strafprozessordnung nicht genügt. Die Vorsitzende bezeichnete die vorgebrachten Argumente weiter als “selektiv” und “nicht umfassend”. Der Verteidiger von R., Rechtsanwalt Andrej Klein, bezeichnete die Verwerfung der Revision in diesem Punkt gegenüber LTO als “ungewöhnlich deutliche ‚Klatsche‘”.
Die Staatsanwaltschaft hatte sich in ihrem Antrag gegen das Beweisverwertungsverbot von abgehörten Telefonaten zwischen R. und G., welche erst zu einem Tatverdacht gegen R. führten, gestellt und den Freispruch von R. angefochten. Dem Rechtsanwalt war ursprünglich vorgeworfen worden, der Gruppe in rechtlichen Fragen zur Seite gestanden zu haben und die Organisation einer “Bunkerwohnung” übernommen zu haben. Der Tatverdacht beruhte jedoch von vornherein auf einer unzulässigen Telekommunikationsüberwachung – das LG nahm ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot an und sprach R. frei. Da der BGH die Revision in diesem Punkt nun verwarf, ist der Freispruch des Rechtsanwalts nun auch rechtskräftig.
Maximilian Schmidt alias “Shiny Flakes” bleibt ebenfalls vorläufig auf freiem Fuß. Jedenfalls bis zur nächsten Runde vor dem Leipziger Landgericht – und dieses Mal droht der noch höhere Strafrahmen des § 30a BtMG, sollte das Gericht eine Bande bejahen. Die Mindeststrafe wären demnach fünf Jahre.
Roman Fiedler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Leipzig.
BGH zu Revision im Candylove-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55802 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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