Justiz-Skandal in Niedersachsen. In Hannover wurde ein Staatsanwalt festgenommen, er soll der Maulwurf in einem der größten Kokain-Schmuggelfälle Europas gewesen sein. Und der Verdacht gegen ihn war der Justiz schon länger bekannt.
"Bruder ich denke die kommen", so heißt es in einer der entschlüsselten Textnachrichten. Die Nachricht ist eine von tausenden Kryptonachrichten, mit denen eine Bande aus Niedersachsen kommunizierte. Die Männer schmuggelten im ganz großen Stil Kokain. Sie sollen eine Mega-Lieferung organisiert haben, dem bis dahin größten Kokainfund Europas.
Im Februar 2021 entdecken Zollbeamte im Hamburger Hafen in mehreren Schiffscontainern 16 Tonnen Kokain, versteckt in Blechkanistern mit Spachtelmasse aus Paraguay. Der Wert der Ladung wird von Beamten auf zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro geschätzt. Das sind Geschäfte in einer Größenordnung, die vermuten lassen, was man dafür alles in Bewegung setzen kann: Bei Hafenmitarbeitern, beim Zoll und auch bei der Staatsanwaltschaft?
Die etwa zwanzigköpfige Bande hatte unter anderem eine unscheinbare Speditionsfirma aus dem Harz für ihren Schmuggel genutzt. Sie soll auch mit der berüchtigten niederländischen Kokainmafia in Kontakt gestanden haben. Insgesamt geht es um über 20 Tonnen Kokain. Eine Großrazzia setzte ihren Geschäften 2022 ein Ende. Mit ihrer Textnachricht in der Gruppe sollte sie Recht behalten. Die Bande war offenbar gewarnt.
Die Nachricht stammt aus einer Zeit, als die Maßnahmen wie etwa Telekommunikationsüberwachung und Observationen gegen die Gruppe noch verdeckt liefen. Und die Nachrichten wecken den Verdacht, dass die Kokain-Gang gegen Geld Informationen von der Polizei und Staatsanwaltschaft bekommen haben. So schrieb die Drogenbande in ihren Nachrichten von einem "korrupten" Staatsanwalt. War das nur Protzerei mit vermeintlich guten Connections in die Justiz? Offenbar ist an der Sache mehr dran.
Drogenboss gelang die Flucht
Dafür spricht, dass der mutmaßliche Boss der Gruppe, Konstantinos S. rechtzeitig in die Vereinigten Arabischen Emirate flüchten konnte. Einigen gelang allerdings die Flucht nicht. Sie wurden festgenommen und ihnen wurde vor dem Landgericht Hannover der Prozess gemacht.
Am Dienstag ist nun ein 39-jähriger Staatsanwalt aus Hannover festgenommen worden, der in diesem Verfahren zuständig war, er sitzt in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt ermittelte selbst in dem Fall und soll führende Köpfe der Niedersachsen-Bande gewarnt haben. Es geht um den Verdacht der Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall, sowie Geheimnisverrat und Strafvereitelung. Das bestätigte eine Sprecherin des niedersächsischen Justizministeriums am Mittwoch.
Der Haftbefehl wurde mit Fluchtgefahr begründet, so die Sprecherin zu LTO. Weitere Angaben wollte sie nicht machen. Zuerst hatte die Bild-Zeitung über die Festnahme berichtet.
Verdächtigter Staatsanwalt durfte in der Sache weiter ermitteln
Besonders heikel an der ganzen Sache: Der Verdacht gegen den nun festgenommenen Staatsanwalt tauchte nach LTO-Informationen schon vor Beginn der Hauptverhandlung auf. Dennoch wirkte er zusammen mit einem weiteren Staatsanwalt an dem Verfahren gegen die Niedersachsen-Bande mit, war im Gerichtssaal an den Prozesstagen dabei und zwar bis zum Urteil des LG Hannovers im März 2023 gegen Köpfe der Bande. Zum Zeitpunkt des Urteils war sogar schon ein Verfahren gegen den Staatsanwalt eingeleitet worden. Es lief also parallel der Prozess gegen die Drogenbande beim Landgericht Hannover und zur gleichen Zeit ein Ermittlungsverfahren gegen den dafür zuständigen Staatsanwalt. Gleichwohl wurde der Staatsanwalt nicht von dem Fall abgezogen?
Offenbar reichten den Ermittlern aber zunächst die Hinweise nicht aus. Die Staatsanwaltschaft Hannover wollte sich dazu gegenüber LTO nicht äußern und verwies auf das Justizministerium.
Kokain-Mafia breitet sich in Deutschland aus
Auch wenn natürlich die Unschuldsvermutung gilt, ist der Fall für die Justiz in Niedersachsen ein heftiger. Die Aufklärung dürfte unangenehm werden. Dass die Kokainmafia den Rechtsstaat und seine Institutionen unter Druck setzt, sie sogar infiltriert, das konnte man in den vergangenen Jahren vor allem in den Niederlanden und Belgien beobachten. In dem Maß in dem Häfen dort sicherer werden und der Verfolgungsdruck steigt, suchen sich die Gruppen andere Standorte. Strafrechtler und Polizeibeamte aus den Niederlanden warnen seit langem davor, dass Macht und Wucht dieser Kokaingruppen auch Deutschland erreicht.
"Bruder ich denke die kommen": . In: Legal Tribune Online, 30.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55752 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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