In Folge möglicher Häftlingsmisshandlungen in einer JVA in Augsburg haben bayerische Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger einen offenen Brief an den Justizminister verfasst. Darin kritisieren sie, wie sich das System selbst schütze.
Die Empörung über die Haftbedingungen, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Augsburg-Gablingen geherrscht haben sollen, war nach Bekanntwerden der Vorwürfe groß und hält auch weiterhin an. Mittlerweile wurden personelle Konsequenzen gezogen und Disziplinarmaßnahmen eingeleitet.
Dabei bezieht sich die Kritik allerdings nicht nur auf das mögliche Fehlverhalten der Mitarbeitenden, sondern auch auf den Umgang insbesondere des Justizministeriums mit der Aufklärung des Sachverhalts. Das Ministerium räumte ein, schon seit einem Jahr Kenntnis von den Vorwürfen zu haben.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar"
Die Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger nahm sich die Ereignisse zum Anlass, einen offenen Brief an den Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich (CSU) zu verfassen. Ganz oben – wie als Erinnerung – ist Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz abgedruckt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
In dem Schreiben kritisieren die Strafverteidiger, dass das Ministerium die Vorwürfe so spät aufgegriffen habe. Indem Eisenreich die Verantwortung zur Aufklärung auf die Anstaltsärztin übertrage, die die Vorwürfe an das Ministerium herangetragen, später aber auf Nachfragen nicht mehr reagiert haben soll, mache er es sich zu einfach. "Sie werden Ihrer Funktion als Staatsminister der Justiz nicht gerecht", lauten die deutlichen Worte.
Weil es um mögliche Menschenrechtsverstöße von staatlicher Seite ging, hätte den Vorwürfen nachgegangen werden müssen, selbst wenn ein Anfangsverdacht für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren noch nicht bejaht werden konnte.
Strafverteidiger fordern Lobby für Gefangene
Es müsse sich ändern, dass Gefangene keine wirksame Lobby auf ihrer Seite hätten. Zwar würden sich die Strafverteidiger selbst bemühen, Vorwürfe aufzuklären, sofern sie von ihrer Mandantschaft darauf hingewiesen werden. Zur Anzeige brächten ihre Mandanten solche Missstände aber regelmäßig nicht. Zu groß sei die Furcht vor negativen Konsequenzen, wie vermehrte Zellenkontrollen, verkürzte Besuchszeiten oder andere Ungleichbehandlungen.
Dadurch hätten Beamte im Vollzugsdienst unbegrenzte Macht über das tägliche Leben der Gefangenen. "Auf diese Weise schützt sich das System selbst." Das sei nicht hinnehmbar.
Die Praxis müsse nun hinsichtlich der Aufsicht über Justizvollzugsanstalten, Disziplinarmaßnahmen und Schutzmaßnahmen für Gefangene auf den Prüfstand gestellt werden. Außerdem müsse es Häftlingen künftig möglich sein, sich anonym an das Ministerium zu wenden, um auf Missstände hinzuweisen, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Daneben fordert die Initiative, Mindeststandards für Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen ("bgH") sowie verschärfte Berichtspflichten.
Abschließend erinnern die Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger an die Verantwortung, die der Beruf als Beamter im Vollzugsdienst mit sich bringt. Der Nachwuchs solle während der Ausbildung dahingehend wieder mehr sensibilisiert werden.
lmb/LTO-Redaktion
Strafverteidiger reagieren auf Misshandlungsvorwürfe in JVA: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55779 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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