Sollte man kennen: 5 wich­tige BVerfG-Ent­schei­dungen 2020

von Dr. Markus Sehl

22.12.2020

3/5: Ein Grundrecht gegen Überwachung gilt auch im Ausland 

Wesentliche Regelungen zur strategischen Fernmeldeaufklärung im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst (BND) sind verfassungswidrig, entschied das BVerfG im Mai (Urt. v. 19.05.2020, Az. 1 BvR 2835/17).

Bei der sogenannten Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung durchforstet der Auslandsnachrichtendienst BND ohne konkreten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen etwa zu Terrorismus oder Gefahren für deutsche Soldatinnen und Soldaten im Ausland. Dagegen geklagt haben ausländische Journalistinnen und Journalisten, die befürchten, ebenfalls überwacht zu werden.

Verknappt lässt sich das Urteil aus Karlsruhe folgendermaßen zusammenfassen: Die Regeln zur strategischen Fernmeldeaufklärung im BND-Gesetz leiden an einem schwerwiegenden Konstruktionsfehler. Denn die Richter des Ersten Senats entschieden zum ersten Mal so ausdrücklich, dass der deutsche Staat in seinem Handeln immer an die Grundrechte gebunden ist – "unabhängig davon, an welchem Ort, gegenüber wem und in welcher Form", also auch im Ausland. Sie begründeten das mit den neuen technischen Möglichkeiten und der weltweiten Vernetzung von Kommunikation. Und mit dieser Ausweitung des Grundrechtsschutzes auch für Ausländer im Ausland war gleichsam das Urteil über das BND-Gesetz gesprochen, das, als es 2016 geschaffen wurde, ohne diese Maßgabe entstanden ist.

Die unmittelbaren Folgen für die Arbeit des BND sind zunächst begrenzt. Denn die Karlsruher Richter ließen die Regelungen trotz Verfassungswidrigkeit fortgelten. Und sie betonten auch mit ähnlich eindringlichen Worten wie zuvor die Regierungsvertreter in der mündlichen Verhandlung "das überragende öffentliche Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung" und die unverzichtbare Bedeutung des Instruments, auch in der vollen Breite einer anlasslosen Massenüberwachung. Nachbessern muss der Gesetzgeber aber an zahlreichen Einzelregelungen: Beim Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen wie zwischen Anwälten und ihren Mandanten oder Journalisten und ihren Quellen, bei der Kontrolle der Überwachung durch ein neues "gerichtsähnliches" Gremium und beim strenger zu regelnden Datenaustausch mit anderen Geheimdiensten.

Bis zum Jahresende 2021 hat das BVerfG dem Gesetzgeber Zeit eingeräumt, die Auslandsfernmeldeaufklärung des BND neu zu regeln. Und der hat schonmal eine Vorlage geliefert, Mitte Dezember beschloss das Kabinett eine entsprechende Novelle. Dabei handelt es sich wohl um eine möglichst passgenaue Minimalumsetzung des BVerfG-Urteils, die bis zum Ende der Legislatur und damit bis zum Ende der Frist durch den Bundestag soll. Vertreter der Beschwerdeführerinnen und -führer gegen die gekippten Regelungen haben schonmal in Aussicht gestellt, dass sie durchaus auch noch einmal klagen wollen.

Zitiervorschlag

Sollte man kennen: . In: Legal Tribune Online, 22.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43814 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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