Wer sich betrunken aufs Fahrrad schwingt, der kann seinen Führerschein verlieren. Doch muss auch zur MPU, wer gar nicht Auto fährt? Christoph Marotzke meint: nein.
Ein Dauerbrenner in der Praxis des Verkehrsrechts ist die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), in der Umgangssprache auch "Idiotentest" genannt. Kürzlich hat sich das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg mit der Frage auseinandersetzt, ob die Weigerung, sich einer MPU zu unterziehen, Grundlage dafür sein kann, das Führen von Fahrzeugen zu untersagen (Urt. v. 09.09.2019, Az. 17 K 18.1240). Die Besonderheit in diesem Fall: Es handelt sich bei der Betroffenen um eine Radfahrerin, der untersagt wurde, künftig weiter Fahrrad zu fahren.
Vorab: Wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, macht sich gemäß § 316 Strafgesetzbuch (StGB) wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar. Dies gilt sowohl für Kraftfahrzeuge als auch für erlaubnisfreie Fahrzeuge, wie z.B. Fahrräder.
Unabhängig von der Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden oder des Strafgerichts besteht allerdings die Möglichkeit, dass der Fahrerlaubnisbehörde aufgrund des Vorfalls Zweifel an der grundsätzlichen Fahreignung des Betroffenen kommen. Sie kann ihm in solchen Fällen aufgeben, sich einer MPU zu unterziehen. Diese Untersuchung wird in einem Gutachten ausgewertet, bevor entschieden wird, ob weitere Maßnahmen nötig sind. So kann die Behörde z.B. das Führen von Fahrzeugen untersagen, in der Umgangssprache auch Fahrverbot genannt.
MPU-Pflicht auch für Fahrradfahrer?
Die Frau im oben genannten Verfahren vor dem VG Augsburg hatte bei ihrer Fahrradfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,77 Promille aufgewiesen und war deshalb wegen Trunkenheit im Verkehr rechtskräftig verurteilt worden. Der Aufforderung der Fahrerlaubnisbehörde, sich einer MPU zu unterziehen, kam sie allerdings nicht nach. Per Bescheid wurde ihr daraufhin versagt, weiterhin Fahrrad zu fahren. Zu Recht, wie das VG Augsburg ausgeurteilt hat.
Die Rechtsgrundlage für ein Fahrverbot ist § 3 Abs. 1 S. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Zur Vorbereitung dieser Entscheidung ist gemäß § 13 Abs. S. 1 Nr. 2 Buchst. c FeV eine MPU beizubringen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift ist im vorliegenden Fall aber ausgeschlossen, da § 13 FeV zunächst nur auf das Führen von Kraftfahrzeugen anwendbar ist.
Das ist grundsätzlich nicht problematisch, wenn der Fahrradfahrer auch im Besitz einer Kfz-Fahrerlaubnis ist. Denn schließlich kann auch seine Eignung zur Kfz-Führung wegen einer Trunkenheitsfahrt auf dem Rad auf dem Prüfstand stehen. Eine neue Dimension bekam dieser Fall aber dadurch, dass die Frau keine Fahrerlaubnis hatte und sich die Prüfung der Eignung für den Straßenverkehr somit ausschließlich auf erlaubnisfreie Fahrzeuge bezog. Somit kam es darauf an, ob auch Fahrradfahrer zu einer MPU verpflichtet und bei einer Weigerung mit einem Fahrverbot belegt werden können.
Das Fahrradfahren im Straßenverkehr ist grundsätzlich allen Menschen gestattet und nicht an Voraussetzungen geknüpft. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz hat sich bezüglich der Einschränkung dieses Rechts nach alkoholbedingten Verkehrsverstößen bereits 2009 klar positioniert - und zwar zu Gunsten des Betroffenen. Die damals vertretene Rechtsauffassung hat der Senat allerdings im Urteil vom 17. Augst 2012 (Az. 10 A 19284/12) aufgegeben und entschieden, dass eine MPU auch nach einer Trunkenheitsfahrt auf einem Fahrrad möglich ist und dass eine Weigerung ein Grund für ein Verbot gemäß § 3 Abs. 1 FeV sein kann. Dieser Auffassung ist nun auch das VG Augsburg gefolgt.
Wie gefährlich ist ein betrunkener Fahrradfahrer?
Diese Ansicht ist aber in mehrerlei Hinsicht bedenklich. Zum einen kommt § 13 Abs. S. 1 Nr. 2 Buchst. c FeV hier nur entsprechend zur Anwendung. Trotz seines zwingenden Wortlauts müssen die Voraussetzungen daher besonders sorgfältig geprüft werden, da die Vorschrift auf Kraftfahrzeuge und die damit verbundenen Gefahren ausgelegt ist. Ein Fahrrad stellt im Vergleich zu einem Kraftfahrzeug aufgrund der niedrigen Geschwindigkeit sowie der kleineren Aufschlagsfläche eine weitaus geringere Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Die Anordnung einer MPU ist zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit also nur dann rechtmäßig, wenn im konkreten Fall die Risiken mit denen bei auffällig gewordenen Kraftfahrzeugfahrern verglichen werden können.
Ebenso muss berücksichtigt werden, dass ein Fahrverbot für erlaubnisfreie Fahrzeuge ein massiver Eingriff in den Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ist, da das Führen dieser Fahrzeuge an keinerlei sonstige Voraussetzungen geknüpft ist.
Die MPU ist zudem eine besondere eingriffsintensive Maßnahme, bei der durch die Erhebung höchstpersönlicher Daten in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingegriffen wird. Ob ein solcher Eingriff angesichts des überschaubaren Gefahrenpotentials angemessen ist, darf bezweifelt werden.
Auch § 11 Abs. 8 FeV, wonach die Behörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen darf, wenn er die MPU verweigert, kann nur entsprechend angewendet werden. Sofern nachvollziehbare Gründe für die Weigerung vorliegen, ist daher diese zwingende Schlussfolgerung bei Fahrradfahrern aus den o. g. Gründen ebenfalls unverhältnismäßig. Gründe für eine Weigerung können der erwähnte Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, die beachtlichen Kosten des Gutachtens sowie dessen Unangemessenheit mit Blick darauf sein, dass der Betroffene eben "nur" Fahrrad fährt.
Mangels Anhaltspunkten für eine Nutzung von Kraftfahrzeugen reduziert sich entsprechend die durch ihn verursachte Gefahr für den Straßenverkehr. Kann die Eignung nicht in Zweifel gezogen werden, gibt es auch keine Grundlage für ein Fahrverbot.
Betrunkene Autofahrer werden besser gestellt
Sollte man die Eignung im Einzelfall doch bezweifeln können, steht der Behörde aber immer noch ein Ermessen zu. § 3 Abs. 1 FeV stellt ihr drei Maßnahmenarten zur Verfügung: ein Verbot, Beschränkungen oder Auflagen. Bei Ausübung dieses Ermessens muss die Behörde wieder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten und im Zweifel das mildeste Mittel wählen. Vordinglich ist somit z.B. an eine zeitlich begrenzte Beschränkung oder die Auflage eines Gesprächs mit einem Verkehrspsychologen zu denken. Auch wird sich schwer begründen lassen, warum es gar eines dauerhaften Verbots bedarf.
Das Fahrverbot verletzt auch den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 3 Abs. 1 GG. Wird einem Autofahrer die Fahrerlaubnis aufgrund einer Trunkenheitsfahrt entzogen, beschränkt sich das Fahrverbot i. d. R. auch auf das Führen von Kraftfahrzeugen. Er darf also weiterhin bspw. mit dem Fahrrad fahren. Ein Fahrradfahrer aber wird durch das gegen ihn verhängte Verbot ohne ausreichende Rechtfertigung schlechter gestellt, da ihm auch das Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt wird.
Der Autor Christoph Marotzke ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Hamburg. Er vertritt Mandanten u. a. im allgemeinen Strafrecht, Verkehrsstrafrecht und Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht.
VG Augsburg verhängt Fahrverbot nach verweigerter MPU: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38571 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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