2/2: Zwei Gruppen von Gefährdern
Wenn es aber der Bundesregierung generell darum geht, den Schutz vor Gefährdern auszuweiten, fragt sich, was mit solchen geschehen soll, die nicht abgeschoben werden können. Es geht dabei keineswegs um eine Minderheit. Von den circa 500 in Deutschland ausgemachten Gefährdern können rund die Hälfte nicht ausgewiesen werden: Viele haben die deutsche Staatsangehörigkeit, bei anderen ist eine Ausweisung aufgrund eines verfestigten Aufenthaltsrechts oder wegen ihrer Staatenlosigkeit kaum möglich. Bislang hat sich die Berliner Politik bedeckt gehalten, wie mit dieser Personengruppe zu verfahren ist. Klar ist jedenfalls, dass mangels Personalkapazitäten nicht alle Gefährder beobachtet werden können. Auch der von Justizminister Maas vorgeschlagene Einsatz der elektronischen Fußfessel zu präventiven Zwecken stellt – wie der Anschlag auf eine Kirche in Nordfrankreich zeigt – kein sonderlich effektives Mittel dar.
Effektiver wäre es hingegen, die Möglichkeiten des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams an die Realitäten terroristischer Bedrohungen anzupassen. Zwar enthalten die Polizeigesetze der Länder und auch das Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (BKAG) entsprechende Regelungen. Jedoch setzen diese voraus, dass die Begehung einer Straftat unmittelbar bevorsteht. Das Zeitfenster für einen Zugriff ist in der Praxis entsprechend schmal.
Aus diesem Grund spielen die einschlägigen Regelungen beim Vorgehen gegen Terroristen bislang keine größere Rolle: So kommt es, dass der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam auch in der Diskussion um den Umgang mit ausländischen Gefährdern nicht als taugliche Option dafür gilt, die Lücken des Aufenthaltsrechts zu schließen. Wenn aber für ausländische Gefährder die Möglichkeit der Präventivhaft ausgeweitet wird, fragt sich, weshalb für inländische Gefährder alles beim Alten bleiben soll.
Präventivgewahrsam auch für Inländer
Dabei darf der Staat gerade von eigenen Staatsbürgern ein höheres Maß an Loyalität erwarten als von Ausländern. Die Staatsangehörigkeit ist nämlich keine rechtliche Eigenschaft und auch kein einseitiges Verhältnis des Einzelnen zum Staat, sondern ein Rechtsverhältnis, das dem Staatsangehörigen neben besonderen Rechten zugleich besondere Pflichten auferlegt, so etwa bis vor wenigen Jahren die Wehrpflicht. Auch aus diesem Grund scheint es widersprüchlich, sich auf ausländische Gefährder zu konzentrieren und diese einem schärferen Rechtsregime zu unterwerfen als die eigenen Staatsangehörigen.
Auflösen ließe sich der Widerspruch beispielsweise durch eine Anpassung von § 20p BKAG*, der den Präventivgewahrsam regelt. Diese Vorschrift enthält schon jetzt unter anderem die Möglichkeit, eine Person zur Unterbindung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat mit Bezug zum internationalen Terrorismus (§ 4a BKAG) in Gewahrsam zu nehmen. Daneben könnte eine Vorschrift geschaffen werden, die auf Personen abzielt, von denen die gegenwärtige Gefahr einer staatsgefährdenden Straftat im Sinne des § 89a Abs. 1 S. 2 StGB ausgeht. Von einer solchen Gefahr könnte wiederum in der Regel ausgegangen werden, wenn eine Person die Begehung einer solchen Straftat angekündigt und Mittäter gesucht beziehungsweise versucht hat, sich in Besitz von Gegenständen zu bringen, welche zur Durchsetzung eines Anschlags notwendig sind.
Berücksichtigung bei der Gefahrenprognose könnte auch eine frühere Begehung von solchen Straftaten finden, welche – wie zum Beispiel qualifizierte Körperverletzungsdelikte – eine erhebliche kriminelle Energie aufscheinen lassen. Anders gesagt: Eine Ausweitung des Präventivgewahrsams scheint rechtstechnisch durchaus möglich. Ihre rechtspolitische Durchsetzung wäre nichts anderes als die konsequente Fortschreibung der bislang diskutierten Gesetzesänderung. Worauf sich die Bundesminister de Maizière und Maas verständigen, werden wir am Dienstag erfahren. Beide sollten sich bei ihren Entscheidungen aber nicht zu stark am Fall Amri orientieren. Insbesondere darf über den Phänotyp des "ausländischen Gefährders" der einheimische Terrorismus nicht vernachlässigt werden. Anderenfalls könnte nach dem nächsten Terroranschlag die Frage aufkommen, wie man in der langen und breiten Diskussion um die deutsche Sicherheitsarchitektur ausgerechnet die inländischen Gefährder übersehen konnte.
Der Autor Professor Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln und Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung.
*Richtige Norm eingefügt am 10.01.2016, 9.38 Uhr
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Pläne zur inneren Sicherheit: . In: Legal Tribune Online, 09.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21705 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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