Die Politik sucht Antworten auf den Terror des letzten Jahres. Geplant ist, ausreisepflichtige Gefährder leichter in Abschiebehaft zu nehmen. Doch was ist mit solchen, die nicht abgeschoben werden können? Ein Vorschlag von Michael Kubiciel.
Im Jahr 2016 war Deutschland Schauplatz der schlimmsten Terrorserie seit den 1970er-Jahren: ein Angriff mit Axt und Messer in einem Nahverkehrszug, Bombenanschläge in Essen und Ansbach sowie – als schrecklicher Höhepunkt – das Attentat auf einem Berliner Weihnachtsmarkt mit 12 Toten. Die politischen Reaktionen auf die Attentate waren vielstimmig. Noch im Oktober 2016 lehnte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Eva Högl, die Forderung der CSU ab, die Möglichkeiten zur präventiven Gewahrsamnahme von Gefährdern auszuweiten: Anstatt zu diesem rechtsstaatlich heiklen Mittel zu greifen, müssten Gefährder besser überwacht werden.
Der Anschlag von Berlin hat die Grenzen dieser Strategie deutlich gemacht: Eine lückenlose Beobachtung sämtlicher Gefährder ist nicht möglich, die Vorschriften für eine Inhaftierung ausländischer Gefährder haben den Praxistest nicht bestanden. Gleichwohl war noch am vergangenen Wochenende der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Ralf Stegner, mit den Worten zu vernehmen, strengere Gesetze brächten "gar nichts", vielmehr müsse das vorhandene Recht angewandt werden. Ungefähr zur gleichen Zeit kündigte Bundesjustizminister Maas einen Vorschlag zur Ausweitung der Gewahrsamnahme ausreisepflichtiger Gefährder an.
Die Verfassung verhindert keine Gesetzesverschärfungen
Die Kakophonie politischer Stellungnahmen spiegelt das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit. Einerseits beansprucht die Gesellschaft gerade in Zeiten wie diesen Schutz durch einen starken Staat. Andererseits haben auch Personen, die wir als Gefährder bezeichnen, einen grundgesetzlich verbürgten Anspruch auf Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei Eingriffen in ihre Grundrechte. Und schließlich sperrt sich unsere Selbstachtung als Rechtsgemeinschaft dagegen, grundlegende Rechte der reinen Prävention zu opfern.
Das bedeutet freilich nicht, dass das Grundgesetz die Politik zur Untätigkeit verpflichtet. Vielmehr erstreckt sich diesseits der Grenze des Unverhältnismäßigen ein weites Gebiet rechtspolitischer Gestaltungsfreiheit. Anders gesagt: Wie das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit auszutarieren ist, ist zu weiten Teilen Gegenstand der politischen Willensbildung.
Diese soll in den nächsten Tagen ihren Abschluss finden. Es sei genug geredet worden, nun müssten Entscheidungen getroffen und die "Lehren aus dem Fall Amri" gezogen werden, betonte der Bundesjustizminister am Montagmorgen in einem Fernsehinterview. So zeichnet sich schon jetzt eine grundsätzliche Einigkeit bei der Frage ab, wie künftig mit ausreisepflichtigen ausländischen Gefährdern umgegangen werden soll: Sie sollen leichter als bisher in Gewahrsam genommen werden können.
Zu diesem Zweck könnten die entsprechenden Vorschriften des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) geändert werden. Dabei sollen, so Bundesjustizminister Maas, insbesondere ausreisepflichtige Gefährder auch dann in Haft genommen werden, wenn sie nicht zeitnah abgeschoben werden können. Dies ist, wie der Fall Amri zeigt, richtig. Indes sollte man sich klarmachen, dass ein solches Instrument unabhängig von seiner Bezeichnung dem Begriff nach und in der Sache einen Präventivgewahrsam darstellt. Im Vordergrund steht der Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Personen, nicht die Sicherstellung von deren Ausreise.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Pläne zur inneren Sicherheit: . In: Legal Tribune Online, 09.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21705 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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