Private Strafverfolgung: Wie sich Pädo­phi­len­jäger strafbar machen

Gastbeitrag von Nikolai Odebralski

11.11.2024

Sexualstraftaten an Kindern sorgen regelmäßig für Fassungslosigkeit. Dennoch sollte man als Bürger die Strafverfolgung nicht selbst in die Hand nehmen, warnt Nikolai Odebralski.

Laut der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) steigen die Zahlen der angezeigten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs und von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Missbrauchsdarstellungen seit einigen Jahren stetig an. Ungeachtet der Hintergründe solcher Zahlen lässt dieser Umstand offenbar gesellschaftliche Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der staatlichen Strafverfolgung in diesem Deliktsfeld wachsen. Dies ruft eine private Gruppierung auf den Plan, deren Mitglieder sich selbst als "Pedo-Hunter" bezeichnen und die in ihrem Internetauftritt unter dem Namen "Einhorncrew" mit aufwendig bearbeiteten Videos vorgeben, Kindesmissbrauch zu verhindern und so Kinder zu schützen.

In der medialen Berichterstattung wird oftmals berechtigte Kritik an den Aktivitäten der "Einhorncrew" geübt, nicht zuletzt aufgrund von bestehenden Verbindungen zu rechten Gruppierungen und rechtsstaatlich problematischen Äußerungen.

Die Praxis zeigt, dass es zahlreiche Fälle gibt, in denen Private versuchen, mutmaßlich Pädophile der Strafverfolgung zuzuführen. Ob diese Privaten stets der "Einhorncrew" angehören oder es sich möglicherweise um die genannten Nachahmungseffekte handelt, ist nicht immer klar. Sie alle eint jedenfalls der vorgegebene Zweck, zur Unterstützung der – ihrer Meinung nach überforderten – staatlichen Strafverfolgungsorgane zu agieren.

Vorgehensweise privater Pädophilenjäger

Das Vorgehen der "Pedo-Hunter" ist zumeist so, dass sie sich in Fake-Profilen als Minderjährige ausgeben und mit mutmaßlichen Pädophilen chatten. Sie arrangieren Verabredungen, bei denen die Chatpartner davon ausgehen sollen, sie würden eine minderjährige Person zur Vornahme sexueller Handlungen treffen. An dem vereinbarten Treffpunkt stellen die "Pedo-Hunter" ihre Chatpartner zur Rede und schalten die Polizei ein. Dies filmen sie und veröffentlichen die Aufnahmen teilweise zensiert bzw. als animierte Inszenierung auf YouTube und Rumble. In ihren Videos und auf ihrer Website werben die "Pedo-Hunter" um Spenden und Unterstützer.

Auch in den Medien sind Fälle privater Pädophilenjäger bekannt. So etwa der Fall eines Krefelders, der im Netz kinderpornographische Bilder ausgetauscht und die so "ermittelten pädophilen Täter" bei der Polizei angezeigt haben soll. Nachdem der Krefelder selbst angezeigt wurde, soll bei einer Hausdurchsuchung ein USB-Stick mit inkriminiertem Bildmaterial entdeckt worden sein. Laut seinen eigenen Angaben sollen seine Aktivitäten allein der Beweissicherung gedient haben. Er wurde vom Amtsgericht wegen Besitzes kinderpornographischer Dateien zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt.

Ehrbare Motive?

In der Strafverteidigung in diesem Deliktsbereich trifft man zudem auf Konstellationen, in denen Eltern oder auch Unbeteiligte mit mutmaßlich Pädophilen chatten und diesen zum Schein ihre eigenen oder fremde Kinder zur Vornahme sexueller Handlungen anbieten. So soll belastendes Material gegen die Chatpartner gesammelt und dieses dann den Ermittlungsbehörden übergeben werden. Wird daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die privaten Pädophilenjäger selbst eingeleitet, führt dies oftmals zu völligem Unverständnis, da sie ja der Ansicht sind, aus ehrbaren Motiven zu handeln.

Dass der Ansatz privater Ermittlungsmaßnahmen nicht geeignet ist, zur nachhaltigen und flächendeckenden Bekämpfung von Missbrauch beizutragen und schon eine solche Konzeption in unserem Rechtsstaat systemwidrig ist, liegt auf der Hand. Juristisch spannend ist aber die Frage, inwiefern solche Handlungen eine Strafbarkeit nach sich ziehen können.

Welche Delikte in Frage kommen

Insgesamt hängt die mögliche Strafbarkeit natürlich von der konkreten Vorgehensweise im Einzelfall ab. Schaut man sich die Videos der "Pedo-Hunter" und die mediale Berichterstattung an, gibt es einige Tatbestände, deren mögliche Verwirklichung sich in solchen Sachverhalten immer wieder aufdrängt.

In Betracht zu ziehen sind speziell bei den Mitgliedern der "Einhorncrew" zunächst durch die Veröffentlichung der selbst gedrehten Videos, Straftaten gegen die Unverletzlichkeit des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs, namentlich §§ 201 Abs. 1 Nr. 1, 201a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB). Außerhalb des StGB kommen die §§ 22, 23, 33 Abs. 1 Kunsturheberrechtsgesetz (KUG) in Betracht.

Darüber hinaus kommen bei einer Konfrontation immer auch Delikte aus dem Bereich der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Freiheit in Betracht, insbesondere §§ 223, 239 Abs. 1, 240 Abs.1, 2 StGB. Auch denkbar ist die Verwirklichung von Beleidigungsdelikten nach §§ 185 ff. StGB. Diese Aufzählung ist keinesfalls abschließend, die Fälle sind vielschichtig.

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

In Bezug auf den beschriebenen Fall des verurteilten Krefelders, drängt sich zudem die Frage auf, inwieweit auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verwirklicht sein können. Dies ist jedenfalls in dem geschilderten Fall relativ unproblematisch anzunehmen. § 184b Abs. 3 StGB stellt unter anderem den Besitz kinderpornographischer Inhalte unter Strafe. Besitz liegt dabei vor, wenn der Täter die Verfügungsgewalt über die kinderpornographischen Inhalte hat, insbesondere also eine tatsächliche und auf eine gewisse Dauer angelegte Zugriffsmöglichkeit.

Die Rechtsprechung verlangt darüber hinaus in subjektiver Hinsicht einen Besitzwillen. Diese Voraussetzungen dürften jedenfalls erfüllt sein, sofern kinderpornographisches Bild- oder Videomaterial auf einem, dem Täter zuzuordnenden USB-Stick aufgefunden wird. Hier hilft auch die Erklärung des Täters nicht, es handele sich bloß um Material zur Beweissicherung. Eine Strafbarkeit kommt dann nicht in Betracht, wenn die Handlung der rechtmäßigen Erfüllung dienstlicher oder beruflicher Pflichten dient (vgl. § 184b Abs. 5 Nr. 3 StGB). Dies gilt etwa für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften und ihrer Hilfspersonen, dagegen nicht für die Handlungen Privater.  Dennoch ist auch im beruflichen Alltag als Strafverteidiger ein solches Vorbringen der Beschuldigten kein unbekanntes Phänomen.

Angebote zum Schein strafrechtlich relevant 

Bieten die privaten Pädophilenjäger zum Schein ein bestimmtes Kind für sexuelle Handlungen an, kommt darüber hinaus eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB in Betracht. Umstritten ist in diesem Zusammenhang bei der Tatbestandsvariante des "Anbietens" – und hierauf kommt es entscheidend an – inwiefern das Angebot ernstgemeint zu sein braucht.

Jedenfalls nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) kommt es nicht darauf an, ob der Täter tatsächlich beabsichtigt dem Angebot nachzukommen. Ausreichend ist, dass das Angebot als ernstlich gemeint erscheinen kann und der Täter dies in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Nach Meinung des Gerichts muss sich das Angebot nicht einmal auf ein existierendes Kind beziehen. Auch hier schließen die zugrundeliegenden Motive die Tatbestandsverwirklichung demnach nicht aus.

Die "Einhorncrew" betont in ihren Videos stets, dass minderjährige Personen nicht beteiligt sind und sie sich auch im Übrigen durch ihre Handlungen in keiner Weise strafbar machen. Sämtliche Strafanzeigen gegen sie seien bisher ins Leere gelaufen.

UMSKM: "Professionalität geboten, nicht selbsterklärte Scheriffs"

Wie auch immer: Fest steht, dass sich selbsternannte Pädophilenjäger jedenfalls auf der Schwelle zur Strafbarkeit bewegen und teilweise tatsächlich diverse Straftatbestände verwirklichen. Dies hängt stets von dem konkret in Rede stehenden Vorgehen ab und ist somit eine strafrechtlich komplexe Einzelfallfrage.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Kerstin Claus hat daher auch aus Strafverteidigersicht Recht, wenn Sie gegenüber LTO fordert, dass Ermittlungen zwingend durch die staatlichen Ermittlungsbehörden durchgeführt werden müssten. Das Gewaltmonopol des Staats und die rechtsstaatlichen Ermittlungsgrundsätze dürften nicht durch Selbstjustiz untergraben werden. "Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt braucht Professionalität und Rechtsstaatlichkeit, nicht selbsterklärte Scheriffs, die ihr Handeln in rechtlichen Grauzonen publikumswirksam vermarkten", so Claus.

Autor Nikolai Odebralski ist Fachanwalt für Strafrecht in Essen. Das Sexualstrafrecht zählt zu seinen anwaltlichen Spezialgebieten. Er ist in diesem Bereich auch Autor diverser wissenschaftlicher Werke.

Zitiervorschlag

Private Strafverfolgung: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55828 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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