Bundesverwaltungsrichter zum Asylrecht: "52 Ver­wal­tungs­ge­richte müssen ständig das Rad neu erfinden"

von Tanja Podolski

22.05.2017

2/3: Dauerbrenner mangelhafte Kommunikation

LTO: Mit welchem Ergebnis?

Seegmüller: Da muss ich Sie enttäuschen, es gab letztlich bei der Tagung keine Entscheidung von Rechtsfragen – etwa in dem Sinne von "So machen wir das jetzt". Der Austausch hat uns allen viele Denkanstöße gegeben. Bei den Untätigkeitsklagen etwa gibt es zwei Meinungen: Die einen erkennen die Verpflichtung des Bundesamts zur Bescheidung als Möglichkeit an. Die anderen meinen, der Gesetzgeber habe das nicht gewollt und letztlich als Sanktion für Untätigkeit der Behörden eine Entscheidung des Gerichts in der Sache gefordert, um den effektiven Rechtsschutz sicherzustellen. Dem kann man natürlich wiederum entgegen halten, dass das Gericht bei zu vielen Fällen auch nicht schneller als die Behörde entscheiden kann. Dann müssen die Leute einfach warten. Das ist nicht schön, aber wahrscheinlich die fatale Konsequenz wenn so viele – zu viele – Verfahren in kurzer Zeit bei Gerichten eingehen.

"Qualitätsmängel in neuen Asylbescheiden können wir noch gar nicht beurteilen"

LTO: Ein anderes Problem der Verwaltungsrichter soll in der mangelnden Qualität der Arbeit vom BAMF liegen. Sie waren zu Ihrer Zeit als Verwaltungsrichter in Berlin auch für Asylrecht zuständig - wie schätzen Sie die Arbeit des BAMF ein?

Seegmüller: Der Dauerbrenner, den wir als Richter seit Jahrzehnten mit dem Bundesamt haben, ist das Problem mit der Kommunikation mit dem Bundesamt und mit der fehlenden Anwesenheit von Vertretern des Bundesamtes in den mündlichen Verhandlungen. Auch Mitarbeiter, die in der Lage wären, Entscheidungen zu treffen, telefonisch zu erreichen, ist nicht erst seit der Flüchtlingskrise schwierig. Die mitunter schwierige Kommunikation mit dem Bundesamt erschwert dann oft die unstreitige Erledigung von Fällen. Wenn ein Gericht dann deswegen streitig entscheiden muss, kostet das zusätzliche Zeit für das Abfassen des Urteils, die man andernfalls in die Erledigung des nächsten Falles stecken könnte. Bessere Kommunikation wäre also eine relativ einfache Möglichkeit für die Verwaltungsgerichte, effizienter zu werden.

Die Qualität der Bescheide deutschlandweit zu beurteilen, ist schwierig. Natürlich ist in der massiven Einstellung von Entscheidern und der Aufstockung des gesamten Apparates ein Risiko von Qualitätsmängeln angelegt. Doch ob die Bescheide, die derzeit ergehen, wirklich so schlecht sind, wie manche behaupten, werden Verwaltungsgerichte derzeit möglicherweise gar nicht sagen können. Sie arbeiten derzeit nämlich nicht die Bescheide ab, die momentan eingehen, sondern die, die schon etwas älter sind. Momentan kann man also nur zur Qualität derjenigen Bescheide etwas sagen, die vor zwei bis drei Jahren erlassen worden sind. Fehler in aktuellen Bescheiden werden wir dagegen erst in einiger Zeit sehen.

"Verwaltungsgerichte an der Belastungsgrenze"

LTO: Wie stark das Ausländer- und Asylrecht die Verwaltungsgerichte beschäftigt, lässt sich an den Jahresberichten der Verwaltungsgerichte bundesweit ablesen. Danach sind an allen Verwaltungsgerichten die Klagen mit Bezug zum Asylrecht das absolut dominierende Thema. Haben Sie aus dem Forum, das sich mit dem Asyl- und Ausländerrecht befasst, vernehmen können, was die größten Probleme für die Verwaltungsrichter sind?

Seegmüller: Das größte Problem für die Verwaltungsgerichte ist definitiv die große Anzahl der Verfahren. Wir rechnen für dieses Jahr mit möglicherweise mehr als 200.000 Klagen aus dem Asylbereich. Der Anteil der Asylklagen bei den Verwaltungsgerichten liegt an einigen Gerichten derzeit bei etwa 80 Prozent der eingehenden Klagen, nachdem es in den Jahren vor 2015 regelmäßig nicht mehr als 30 Prozent waren. Die Verwaltungsgerichte stoßen schon aufgrund der nochmal massiv angestiegenen Zahl momentan völlig an ihre Belastungsgrenze.

Die Landesjustizverwaltungen haben einen starken Anstieg der Asylklagen durchaus vorhergesehen und sowohl Verwaltungsrichter als auch Geschäftsstellenbeamte eingestellt. Aber die Zahl reicht im Moment definitiv weder auf Ebene der Richter noch bei den Geschäftsstellen aus. In der Summe muss man aber sagen: Es ist zwar viel passiert. Das reicht aber nicht. Alle tun momentan zu wenig.

LTO: Im Sinne von: Die Justizverwaltungen stellen zu wenig Personal ein?

Seegmüller: Genau. Allerdings stoßen die Gerichte auch anderweitig an Grenzen. Es fehlen Räume, Computer und die gesamte Gerichtsinfrastruktur ist völlig überlastet. Und Geschäftsstellenbeamte findet man inzwischen fast noch schwerer als Richter. Auch zugewiesene Richterstellen können aber teilweise nicht besetzt werden. Das ist in den großen attraktiven Städten, wie Berlin und Hamburg weniger der Fall, auf dem flachen Land wird es dann aber schwierig. Dass man nicht genug Personal schnell genug findet, hängt natürlich auch damit zusammen, dass sowohl der Beruf des Richters als auch der Beruf des Geschäftsstellenbeamten über die Jahre hinweg systematisch finanziell unattraktiv gemacht worden ist. Das wirkt sich jetzt fatal aus.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Bundesverwaltungsrichter zum Asylrecht: . In: Legal Tribune Online, 22.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23000 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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