Die Pläne der Justizministerin, in Schleswig-Holstein alle Arbeits- und Sozialgerichte zusammenzulegen, stoßen auf heftige Kritik. Am Mittwoch gibt es eine öffentliche Anhörung von Innen- und Rechts- sowie Petitionsausschuss.
Am Mittwoch tagen der Innen- und Rechtsausschuss zusammen mit dem Petitionsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags. Einziger Punkt auf der Tagesordnung: die Gebietsstrukturreform. Dazu stehen als Unterpunkte die Anhörung zur Petition sowie ein Bericht der Landesregierung zu den Plänen auf der Einladung zur öffentlichen Anhörung. Den Bericht hatte Abgeordnete Dr. Bernd Buchholz (FDP) beantragt.
Bei der Gebietsstrukturreform geht es um das Vorhaben, alle Arbeits- und Sozialgerichte in der Fläche zu schließen und an einem noch zu bestimmenden Standort zusammenzuziehen. Die Justizministerin des Flächenlandes, Prof. Dr. Kerstin von der Decken (CDU), hatte diese Pläne anlässlich der Haushaltsplanung für das kommende Jahr vorgestellt. Richter:innen, Beschäftigte und die Gewerkschafen waren von der Mitteilung überrascht worden. Sie hatten erst im Anschluss an die Haushaltssitzung per E-Mail von dem Vorhaben erfahren.
Regional und bundesweit haben sich Richter- und Anwaltsverbände sofort gegen die Pläne positioniert. Ein DGB-Funktionär hat eine Petition gegen die Konzentration der Gerichte gestartet. Das erforderliche Quorum von 2.000 Stimmen, damit sich der Landtag mit dem Thema befasst, war innerhalb von wenigen Tagen erreicht. Mitte Oktober hatten zudem eine Demonstration vor dem Kieler Landtag stattgefunden, zu der ein Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden sowie Anwalts- und Richterverbänden gemeinsam aufgerufen hatte. Die Kritik: Die geplante Zentralisierung gefährde massiv den Zugang zur Justiz und erschwere zudem die Arbeitsbedingungen erheblich.
Die Ministerin verweist unterdessen auf die Möglichkeit von Videoverhandlungen und die notwendigen Einsparungen. Es sei der Vertraulichkeit von Haushaltsberatungen geschuldet, dass der Anhörungsprozess nicht mit allen Beteiligten in einem früheren Stadium und noch im Vorfeld des Haushaltsbeschlusses gestartet werden konnte, teilte von der Decken mit. Das sei nachgeholt worden. Nach dem Anhörungsprozess solle die gesetzliche Umsetzung (insb. die Änderung des Landesjustizgesetzes) 2025 erfolgen. Der Umzug in das neue Gebäude sei für 2027 geplant. Von der Decken beziffert die Einsparsumme allein im Bereich der Arbeits- und Sozialgerichte mit rund 63 Millionen Euro bis 2040.
Geringere Fläche und 47 Stellen weniger
Das Ministerium geht dabei von erheblichen Einsparpotenzial in der Fläche aus. Denn in der Arbeitsgerichtsbarkeit arbeiten derzeit an den fünf Arbeitsgerichten (ArbG) plus Landesarbeitsgericht (LAG) 99 Beschäftigte auf einer Nettoraumfläche von 4.785,89 Quadratmetern. In der Sozialgerichtsbarkeit mit vier Gerichten plus Landessozialgericht (LSG) sind es 191 Mitarbeitende auf 10.624,03 Quadratmetern. Im Vergleich bedeutet das nach der Analyse des Justizministeriums: Die gesamte Arbeitsgerichtsbarkeit sei im Hinblick auf die Anzahl der Beschäftigten vergleichbar mit einem mittleren Amtsgericht, die gesamte Sozialgerichtsbarkeit entspreche im Hinblick auf die Anzahl der Beschäftigten etwa zwei mittleren Amtsgerichten.
Benötigt würde aber nach Personalbedarfsberechnungssystem für die Justizbehörden (PEBB§Y), nur 5.500 Quadratmeter plus Allgemeinflächen wie etwa Toiletten und Flure. Bei einer Zusammenlegung könnten also rund 8.300 Quadratmeter eingespart werden, rechnet das Ministerium. Der Zersplitterung mit hohen Kosten durch Gebäudepflege, Instanthaltung und mehrfachen Organisationsstrukturen könne durch einen Gerichtsstandort mit einer zentralen Verwaltung begegnet werden. Gemietete Gerichte wie die Arbeitsgerichte (ArbG) Elmshorn, Lübeck und Neumünster sowie das Sozialgericht (SG) Kiel können "abgemietet", eigene Gebäude wie die ArbG Flensburg und die SG in Itzehoe, Lübeck verkauft werden. Das würde rund fünf Millionen Erlös bringen. Die Einsparungen lägen damit jährlich bei den Betriebskosten bei rund 278.000 Euro, bei den Mieten bei etwa 716.000 Euro sowie bei rund 7, 19 Millionen Euro für Renovierungen. Kosten für Sicherheitskräfte und die IT-Infrastruktur brächten weitere 700.000 Euro.
Zudem reduziere sich der rechnerisch der Personalbedarf, weil Arbeitskraftanteile in der Verwaltung wegfielen. Auch Leitungsstellen an den Gerichten fielen langfristig weg, hier sei das Sparpotenzial nach den vorgelegten Zahlen aber mit rund 25.000 Euro gering.
Mehr "Musik" liegt bei den Beschäftigten: Perspektivisch fielen 47 Stellen an der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit weg und könnten innerhalb der Justiz mit anderen Aufgaben betraut werden, so dass in anderen Justizbereichen zwingend benötigte Stellen dort nicht neu geschaffen werden müssten. Das sei rechnerisch eine Kostenersparnis von 2.350.000 Euro jährlich. Weitere fünf Stellen aus Richterschaft, Rechtspflegern und mittlerem Dienst könnten versetzt werden. Insgesamt berechnet das Ministerium im Personalbereich mit 3.724.524,28 Euro jährlich, die durch Stellenverlagerungen in andere Justizbereiche und Änderungen der Besoldungsstruktur rechnerisch als Einsparbeitrag berücksichtigt werden könne.
Für einen Neubau rechnet die Ministerin mit rund 42, 5 Millionen Euro, bei der Miete eines Objektes veranschlagt sie rund 810.000 Euro jährlich. Hinzu kämen Baukosten für die Verhandlungssäle in Höhe von ca. 1,8 Millionen Euro - das Ministerium favorisiert eine Anmietung.
Zweifel an berechneten Einsparungen
Umzugskosten, höhere Wegstreckenentgelte und Trennungsgeld sind in den Berechnungen bisher nicht berücksichtigt, teilte auch das Ministerium mit. Das haben andere im Land übernommen ebenso wie die Kalkulation der Doppelmieten wegen der laufenden Verträge. Zudem unter anderem angepasste Mietpreise was zu rund 80 Prozent höheren Kosten als vom Ministerium angegeben führte, was eine Miete von 1,8 Millionen Euro statt den kalkulierten 800.000 Euro ausmachen würde.
Hinzu kämen noch höhere Betriebskostenzuschüsse für notwendige Telearbeit sowie höhere Zeugenentgelte wegen der größeren Distanzen. Auch die Kosten für den Ausbau von Videorechtsantragsstellen seien nicht aufgelistet und beim Flächenbedarf nicht berücksichtigt, dass es in der absoluten Zahl wegen Teilzeitkräften um mehr Personen gehe als eine bloße Kommazahl. Die Kritiker bezweifeln, dass mit der Zusammenlegung der Gerichte überhaupt Geld gespart werden könne, und kommen zu Mehrkosten von bis zu 39 Millionen Euro.
Bei den Gebäuden weisen sie darauf hin, dass etwa das landeseigene Gebäude des SG Lübeck gerade für nahezu fünf Millionen Euro saniert worden sei, lediglich das Flachdach stehe noch aus (Kosten ca. 200.000 Euro). Die noch ausstehenden Investitionen für das im Mai 2014 fertig sanierte SG Itzehoe beträfen eine Fensterfront (600.000 Euro) sowie die Herrichtung der drei Sitzungssäle. Diese Mittel seien bereits gebunden für 2025 eingeplant.
Für Irritation sorgt auch die Personalplanung: Das Papier plane offensichtlich die regulär erst im Jahr 2029 anstehende Pensionierung der Direktorin des ArbG Flensburg bereits ein. Diese erhalte aber jedenfalls bis zur Pensionierung weiter ihre Vergütung plus Zulage. Auch dürfte es politisch nicht realistisch sei, das Verwaltungsgericht mit einem Präsidenten mit der Besoldungsgruppe R4 auszustatten, das Arbeits- und Sozialgericht aber nicht – wie es der Plan vorgibt. Von den angegebenen Einsparungen im Personalbereich beruhten 2,3 Millionen Euro auf "Sowieso-Einsparungen", da die Stellen unabhängig von den Standortschließungen wegen des Rückgangs von Eingangszahlen abzubauen seien.
Kritik von weiteren Verbänden
Für die Kritiker steht fest: Sie müssen einen Weg finden, die Reform zu stoppen. Der Kritik hatten sich zuletzt der Deutsche Sozialrechtsverband und der Deutsche Arbeitsgerichtsverband angeschlossen.
Der Sozialrechtsverband betonte, dass mit einer derartigen Konzentration der Standorte der gesetzlich eigentlich gewollte, niederschwellige Zugang zum verfassungsmäßig gebotenen Rechtsschutz abgeschnitten würde. Dies ließe sich auch nicht - zumindest derzeit - durch eine Stärkung der Möglichkeiten für die elektronische Kommunikation ersetzen.
Der Arbeitsgerichtsverband meint, die durch die örtliche Nähe gewonnene Bodenhaftung ginge verloren, setzte ein Flächenland mit fast 16.000 Quadratkilometern –sechsmal so groß wie das Saarland – darauf, auf Arbeitsgerichtsbezirke zu verzichten und im gesamten Land lediglich einen Gerichtsstandort vorzusehen. Es dürfe nicht um ein Spardiktat gehen, "denn ein Rechtsstaat kostet immer". Wieviel, das werden die Diskussionen am Mittwoch zeigen. Eingeladen dazu sind nach Mitteilung des Ausschusses der Deutsche Beamtenbund, der DGB, Neue Richtervereinigung und Richterverband sowie der Petent.
Schließung von Gerichten in Schleswig-Holstein: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55788 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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