Interview mit Mainzer Kriminologen: "Reso­zia­li­sie­rung ist Opfer­schutz"

von Maximilian Amos

30.08.2017

2/2: "Der Gesetzgeber ist sich selbst untreu geworden"

LTO: Ein aktueller Beitrag der Juniorprofessorin Dr. Minou Banafsche auf juwiss.de hat die Diskussion um den fehlenden Rentenversicherungsschutz von Strafgefangenen wieder angestoßen. Nun ist dies eine sehr spezielle Materie. Kann man sie aber möglicherweise als Symbol für einen Mangel an Unterstützung bei der Resozialisierung verstehen?

Brettel: Auch diese Debatte gibt es schon lange. Die Motivation der Gefangenen, in der Anstalt zu arbeiten, ist zunächst eher von anderen Faktoren als dem Rentenversicherungsschutz abhängig. Bei-spielsweise spielt hier die Hoffnung auf eine frühere Entlassung oder eine Verbesserung der finan-ziellen Situation eine Rolle. Langfristig aber ist der fehlende Rentenversicherungsschutz durchaus problematisch. Denn solche Schutzlücken verschlechtern die Teilhabechancen im späteren Leben in Freiheit und sind geeignet, problematische Spätfolgen für die Gefangenen zu bewirken. Es gab auch immer wieder Forderungen, dies zu ändern - bisher blieben sie allerdings ungehört. Der Gesetzgeber ist sich in dieser Hinsicht selbst untreu geworden, da er im (früher geltenden bundeseinheitlichen, d. Red.) Strafvollzugsgesetz Fristen für die Regelung sozialversicherungsrechtlicher Fragen gesetzt hatte, die er dann verstreichen ließ.

LTO: Jüngst ist ein Häftling damit gescheitert, gerichtlich eine Ausbildungsbeihilfe für sein Jurastudium zu erreichen. Auch wenn es in diesem Fall schlicht an der fehlenden Genehmigung scheiterte: Gibt es ausreichend Angebote und Hilfestellung für Gefangene, die sich weiterbilden wollen?

Brettel: Auch hier gibt es ein breites Spektrum an Angeboten wie Alphabetisierung oder die Mög-lichkeit, Schulabschlüsse oder sogar Hochschulabschlüsse zu erwerben. Aber auch in diesem Bereich fehlt es an Einheitlichkeit aufgrund regionaler Unterschiede. Seit der Einführung der Lan-desstrafvollzugsgesetze ab 2006 existieren je nach Bundesland zudem unterschiedliche Vorschriften für den Vollzug.

LTO: Wünschen Sie sich bundeseinheitliche Regeln zurück?

Brettel: Grundsätzlich fände ich das besser, etwa weil damit manche Verschiedenheiten in der Vollzugssituation verschwinden würden. Aber ich glaube nicht, dass sich das so schnell noch einmal ändern wird. Die Landesgesetze sind ja erst seit ein paar Jahren in Kraft.

"Wegsperren schafft neue Probleme"

LTO: Das Thema Strafvollzug spielt in der aktuellen politischen Diskussion, auch im Wahlkampf, praktisch keine Rolle - ganz anders als die Befugnisse von Strafverfolgern. Auch wenn der Vollzug vornehmlich in den Kompetenzbereich der Länder fällt: Macht sich die Politik allgemein zu wenig Gedanken darüber, wie mit Inhaftierten umzugehen ist, um so womöglich neue Taten zu verhindern?

Brettel: Wir wären gut beraten, wenn wir dem Thema mehr Aufmerksamkeit widmen würden. Die Aufforderung zur Wiedereingliederung ist schließlich durch das Sozialstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankert, worauf insbesondere das Bundesverfassungsgericht Bezug nimmt. Zudem führt das bloße Wegsperren von Straftätern zwar vielleicht zu einem vorübergehenden Gefühl der Sicherheit. Langfristig aber schafft man damit neue Probleme. Resozialisierung bedeutet somit auch Opferschutz.

Als das Strafvollzugsgesetz eingeführt wurde, gab es ein starkes Bewusstsein für die Bedürfnisse der Täter, aber auch der Opfer. Gerade bei einem Anstieg der Gefangenenzahlen ist es zum Beispiel nötig, über eine Aufstockung von personellen und finanziellen Ressourcen nachzudenken, nicht zuletzt weil eine Überfüllung von Justizvollzugsanstalten zu großen Problemen im Strafvollzug führt.

LTO: Wo müsste der Gesetzgeber Ihrer Meinung nach nachbessern, um dem Vollzugsziel der Re-sozialisierung zu genügen?

Brettel: Die Verfassung gebietet nicht nur die Wiedereingliederung von Straftätern, sondern auch, sie normalen Bürgern rechtlich gleichzustellen, soweit nicht vollzugsimmanente Rechtsbeschränkungen notwendig sind. Überall dort, wo er diesem Gebot nicht gerecht wird, sollte der Gesetzgeber folglich nachbessern. Und die Gleichstellung ist nicht in letzter Konsequenz verwirklicht, wie etwa das Beispiel des Sozialversicherungsschutzes zeigt.

Prof. Dr. Dr. Hauke Brettel ist Mediziner und Jurist und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Strafrecht und Medizinrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Die Fragen stellte Maximilian Amos.

Zitiervorschlag

Maximilian Amos, Interview mit Mainzer Kriminologen: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24199 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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