Die Regierung hat ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, um die Verschmutzung durch Diesel-Fahrzeuge in deutschen Städten in erträglichen Grenzen zu halten. Darunter: Groß angelegte PKW-Umtauschaktionen und Hardware-Nachrüstung.
Diesel-Besitzern drohen nach einem Eckpunktepapier der Bundesregierung, das LTO vorliegt, Fahrverbote in besonders vom Stickoxid-Ausstoß belasteten deutschen Städten. Um diese zu vermeiden, sollen private Diesel-Halter ihr Fahrzeug künftig umtauschen können. Die deutschen Automobilhersteller hätten dem Bund zugesagt, den Fahrzeughaltern von Euro 4 und Euro 5 Diesel-Fahrzeugen ein Tauschprogramm "mit attraktiven Umstiegsprämien oder Rabatten" anzubieten.
Für Euro-5 Diesel-Fahrzeughalter erwartet die Bundesregierung außerdem, dass die Fahrzeughersteller eine Hardware-Umrüstung auf eigene Kosten übernehmen. Bei gewerblichen Fahrzeugen soll die Hardware-Nachrüstung staatlich gefördert werden. Diese Maßnahmen würden "dem wichtigen Anliegen eines ambitionierten Gesundheitsschutzes in unseren Städten Rechnung tragen und Mobilität in den Städten auch hinsichtlich der Diesel-Fahrzeuge verlässlich und berechenbar zu machen". Das Bundesverwaltungsgericht hatte seinerzeit festgestellt, dass Verkehrsbeschränkungen zulässig sind und geboten sein können. Viele Kommunen hätten laut Eckpunktepapier den Bund daher gebeten, hierfür einheitliche Regeln vorzusehen.
Folgendes ist geplant: Die Bundesregierung wird dem Papier nach das Bundes-Immissionsschutzgesetz ändern, indem sie eine Regelung für besonders belastete Städte schafft, in denen ein Stickoxid-Jahresmittelwert von mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschritten wird. Städte, die diesen Wert überschreiten, sollen künftig auf die Daten des Zentralen Fahrzeugregisters zugreifen können, um fahrzeugindividuell die Einhaltung von Verkehrsbeschränkungen überprüfen zu können.
Eine besondere Kennzeichnung wie etwa durch die diskutierte blaue Plakette hält die Bundesregierung damit nicht für erforderlich. Derzeit seien laut Bundesregierung 14 Städte in Deutschland in diesem Sinne besonders belastet: München, Stuttgart, Köln, Reutlingen, Düren, Hamburg, Limburg a.d. Lahn, Düsseldorf, Kiel, Heilbronn, Backnang, Darmstadt, Bochum und Ludwigsburg.
Für Diesel-Fahrzeughalter, die in diesen Städten nach den neuen Regeln künftig von Fahrverboten betroffen wären, verspricht die Bundesregierung, Angebote, "wie sie auch im Falle von Verkehrsbeschränkungen ihre Mobilität erhalten können". Außerdem möchte die Bundesregierung dafür sorgen, dass in den betroffenen Städten eine "schnelle Verringerungen der Emissionen der PKW-Flotte" stattfindet: Um dies zu ermöglichen, werde der Bund festlegen, dass Fahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5, sofern sie weniger als 270 mg/km Stickoxid ausstoßen, in die Gebiete mit Verkehrsbeschränkungen aus Gründen der Luftreinhaltung einfahren oder durchfahren können und damit von Fahrverboten verschont bleiben.
Umtausch und Hardware-Nachrüstung
Für Bewohner der besonders betroffenen Städte aber auch Berufspendler aus dem Umland, "für die es eine Härte bedeuten würde und deren Fahrzeug diesen technischen Anforderungen nicht genügt", soll es zwei alternative Angebote geben:
Die erste Möglichkeit davon ist der Umtausch des Fahrzeugs: Die deutschen Automobilhersteller hätten dem Bund zugesagt, den Fahrzeughaltern von Euro-4- und Euro-5-Diesel-Fahrzeugen ein Tauschprogramm mit attraktiven Umstiegsprämien oder Rabatten anzubieten. Dabei soll der besondere Wertverlust, den Diesel-Fahrzeuge durch die Debatte um deren Schadstoffausstoß erlitten haben, ausgeglichen werden. Anders als bei Prämien in der Vergangenheit nur für Neufahrzeuge soll auch der Tausch gegen ein anderes Gebrauchtfahrzeug, das nicht von den Verkehrsbeschränkungen betroffen ist, ermöglicht werden, um Belastungen für die betroffenen Bürger möglichst zu vermeiden. Von den ausländischen Automobilherstellern erwartet die Bundesregierung laut Eckpunktepapier, "dass sie ihren Kunden vergleichbare Angebote machen". Dadurch und weil die Umtausch-Aktion sofort beginnen könne, werde sichergestellt, dass jeder betroffene Euro-4/5-Dieselkunde vor der möglichen Einführung von Verkehrsbeschränkungen in seiner Region über ein anderes Fahrzeug verfügt, welches ihm die Einfahrt in verkehrsbeschränkte Bereiche ermöglicht.
Die zweite Möglichkeit ist laut dem Papier die PKW-Hardware-Nachrüstung: Verlange ein betroffener Fahrzeughalter die Hardware-Nachrüstung seines Euro-5-DieselFahrzeugs mit einem SCR-System (Harnstoff-Einspritzung/AdBlue®) und sei dieses verfügbar und geeignet, den Stickoxidausstoß auf weniger als 270 mg/km zu reduzieren, erwarte der Bund vom jeweiligen Automobilhersteller, dass er die Kosten hierfür einschließlich des Einbaus übernimmt. Der Bund werde die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass solche Systeme möglichst bald auf dem Markt verfügbar sein können. Die Haftung richte sich nach den Regelungen für das Werkvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch. "Damit tragen die Nachrüster die Haftung", heißt es im Eckpunktepapier der Bundesregierung.
Staatliche Förderung für Handwerker- und Lieferfahrzeuge
Weiter kündigte die Bundesregierung Förderprogramme für kommunale und gewerblich genutzte Diesel-Fahrzeuge an: Bei schweren Kommunalfahrzeugen, wie etwa Müllwagen oder Straßenreinigungsfahrzeuge, soll es Hardware-Nachrüstungen geben. Die Bundesregierung werde alle Kommunen, die den Stickoxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschreiten, dabei unterstützen, "ihre schweren Kommunalfahrzeuge (über 3,5t) mit einer Hardware-Nachrüstung (SCR-System) auszustatten". Die Förderquote soll ab Anfang 2019 80 Prozent betragen und die Förderung noch 2018 beantragt werden können. Auf diese Weise könnten laut Bundesregierung etwa 28.000 Fahrzeuge umgerüstet werden. Dies sei besonders effektiv, da diese Fahrzeuge ständig im Stadtverkehr eingesetzt sind.
Außerdem sind Hardware-Nachrüstungen bei Handwerker- und Lieferfahrzeugen geplant. Da diese "ständig in den Städten unterwegs" seien, werde der Bund die Hardware-Nachrüstung mit einem SCR-System von solchen Fahrzeugen mit bis zu 80 Prozent Förderung unterstützen. Förderberechtigt sollen Fahrzeughalter mit gewerblich genutzten Fahrzeugen von 2,8 bis 7,5 Tonnen sein, die ihren Firmensitz in der von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Stadt oder den angrenzenden Landkreisen haben sowie die gewerblichen Fahrzeughalter, deren Firma nennenswerte Aufträge in der Stadt hat. Die Bundesregierung werde mit den Automobilherstellern über die Kostentragung für den Restanteil verhandeln.
Nach Einschätzung des Bundes sind diese Maßnahmen in Ergänzung zu den Aktivitäten der Länder und Kommunen ausreichend, dass alle Städte, in denen ein Stickoxid-Jahresmittelwert von nicht mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen wurde, die Grenzwerte zukünftig ohne Verkehrsbeschränkungen einhalten können. Insofern wären Verkehrsbeschränkungen (Verbot der Einfahrt oder Durchfahrt) aus Gründen der Luftreinhaltung in diesen Städten unverhältnismäßig.
DUH: "Doppelte Nulllösung" verhindert keine Fahrverbote
Unterdessen kritisierte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) das Diesel-Konzept der Bundesregierung als "doppelte Nulllösung" für die Luftreinhaltung und als weiteren Beleg für die wahren Machtverhältnisse in der Autorepublik Deutschland. Den von Dieselfahrverboten betroffenen elf Millionen Autohaltern verweigere die Bundesregierung weiterhin eine wirksame Hilfe. Sie könnten nicht, wie ursprünglich angekündigt, ihren Betrugs-Diesel zurückgeben und sich den Kaufpreis beziehungsweise einen um 20 Prozent erhöhten Zeitwert erstatten lassen. Die sogenannte "Umtauschprämie" sei ein Muster ohne Wert. Es gehe der Bundesregierung dabei ausdrücklich nicht um saubere Neufahrzeuge. Es genüge, wenn im Tausch beliebig schmutzige Gebrauchtfahrzeuge ausgegeben werden. "Wichtig scheint nur, dass diese formal – noch – nicht von Fahrverboten betroffen sind", heißt es in einer Erklärung der DUH.
Bei der Hardware-Nachrüstung sei die Bundesregierung ebenfalls mit allen Forderungen gescheitert. Weder sei die Automobilindustrie bereit, die Kosten für den Austausch verbindlich zu übernehmen, auch der Gewährleistung verweigerten sich "die für die Betrugs-Diesel verantwortlichen Hersteller", so die DUH. "Dieser erneute Kniefall der Bundesregierung macht deutlich, dass zur Durchsetzung der ‚Sauberen Luft‘ in Deutschland die Gerichte die Entscheidungen treffen müssen. In den verbleibenden zehn Wochen dieses Jahres finden Gerichtsentscheidungen zu acht weiteren unter dem Dieselabgasgift NO2 leidenden Städten statt. Fahrverbote lassen sich mit dieser doppelten Nulllösung nicht vermeiden", erklärte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Die DUH rät deshalb "dringend"davon ab, Euro 6 Diesel-Pkw zu kaufen. Der "ganz überwiegende Teil dieser Fahrzeuge" habe ebenfalls illegale Abschalteinrichtungen an Bord und überschreite im Durchschnitt die Grenzwerte auf der Straße für Stickstoffoxid (NOx) um 550 Prozent. Die DUH rechnet mit Fahrverboten für Euro 6 Diesel-Pkw in den besonders belasteten Städten ab Herbst 2020.
Koalitionsbeschluss zur Luftreinheit: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31275 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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