Normalerweise ist man froh, wenn der Kontostand eine beträchtliche Höhe aufweist. Das gilt aber nicht für das vom Kraftfahrt-Bundesamt geführte Verkehrszentral-Register in Flensburg. Die Punkte dort will jeder schnellstmöglich wieder los werden. Ob dies auch funktioniert, wenn man den Führerschein freiwillig zurückgegeben hat, musste nun das BVerwG entscheiden.
Die Leipziger Richter entschieden, dass die Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG, wonach bei der Entziehung der Fahrerlaubnis die Punkte für die vor der zugrundeliegenden Entscheidung begangenen Zuwiderhandlungen gelöscht werden, nicht auf die Fälle eines Verzichts auf die Fahrerlaubnis übertragbar sind (Urt. v. 03.03.2011, Az. 3 C 1.109).
Das Punktesystem wurde 1974 eingeführt. Danach werden (massive) Verstöße gegen Verkehrsvorschriften zusätzlich zu Bußgeldern mit einem bis zu sieben Punkten bewertet und in das zentrale Register in Flensburg eingetragen. Wegen der gravierenden Folgen, die ein hoher Punktestand auslösen kann, wurde die Punkteregelung im Jahre 1998 auch in das Straßenverkehrsgesetz (StVG) aufgenommen.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz vor Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern und –haltern ausgehen, die in Absatz 3 genannten Maßnahmen (Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar; Anordnung, ein medizinisch-psychologische Gutachten beizubringen oder sogar Entzug der Fahrerlaubnis) zu ergreifen.
Je größer die Punktezahl, desto drakonischer die Maßnahmen
Dabei richten sich die behördlichen Maßnahmen nach der Anzahl der Punkte: Erreicht der Kontostand acht Punkte, schreibt die Fahrerlaubnisbehörde den Fahrerlaubnisinhaber an und verwarnt ihn. Gleichzeitig weist sie ihn darauf hin, dass der Betreffende an einem Aufbauseminar teilnehmen kann, was zu einer Punktegutschrift von vier (bei einem Punktestand von insgesamt genau acht Punkten) bzw. zwei Punkten (bei einem Punktestand von mehr als acht Punkten) führt.
Hat das Konto einen Stand von 14 Punkten, ordnet die Führerscheinstelle die Teilnahme an diesem Seminar verbindlich an, wenn der Betroffene nicht innerhalb der letzten fünf Jahre eine solche Veranstaltung besucht hat. Eine Punktegutschrift gibt es dann allerdings nicht mehr. Der Führerscheininhaber hat jedoch die Möglichkeit, an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen. Das wird mit einem Bonus von zwei Punkten honoriert. Weist das Konto 18 Punkte auf, ist der Verkehrssünder seinen Lappen los: Nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG gilt er als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, und die Führerscheinstelle muss ihm die Fahrerlaubnis zwingend entziehen.
Den Führerschein bekommt der Betreffende dann gem. § 4 Abs. 10 StVG frühestens nach Ablauf einer Sperrfrist von sechs Monaten wieder - und auch nur, wenn seine erneute Fahreignung durch ein Gutachten festgestellt worden ist.
Gesetzgeber wollte Manipulationen vermeiden
Wird der Führerschein entzogen, werden alle bis dahin angefallenen Punkte gelöscht (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG). Wird dem Betreffenden die Fahrerlaubnis dann neu erteilt, beginnt er mit einem leeren Punktekonto. Diese Punktetilgung sieht die Vorschrift im StVG ausdrücklich aber nur für die Maßnahme des Entzugs vor, nicht auch für den Fall, dass die Fahrerlaubnis erloschen ist, weil der Betreffende auf sie verzichtet hat.
An anderen Stellen behandelt das StVG den Verzicht und den Entzug allerdings gleich, beispielsweise in § 2a Abs. 1 Satz 6 und Satz 7 StVG. Danach endet eine Probezeit vorzeitig, wenn die Fahrerlaubnis entzogen worden ist oder der Fahrerlaubnisinhaber auf sie verzichtet hat. Da Verkehrssünder oft versuchen, den unangenehmen Konsequenzen einer Fahrerlaubnisentziehung durch einen "freiwilligen" Verzicht zu vermeiden, hat der Gesetzgeber in den meisten Fällen hinsichtlich der rechtlichen Folgen also Verzicht und Entzug gleichgestellt.
Dass dies für das Löschen von Punkten als Rechtsfolge nur dann gilt, wenn die Fahrerlaubnis entzogen wurde und nicht auch in dem Fall, dass der Betroffene auf sie verzichtet hat, ist auf eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung zurückzuführen. In der amtlichen Begründung heißt es:"Zur Löschung der Punkte kommt es nur im Fall der Entziehung, nicht jedoch beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis. Hier bleibt das Punktekonto (bis zur Tilgung der zugrunde liegenden Entscheidungen) weiterhin bestehen."
Der Gesetzgeber wollte dadurch Manipulationen des Punktsystems durch einen taktisch geschickten Verzicht vermeiden: Die halbjährige Sperrfrist in § 4 Abs. 10 StVG knüpft nur an den Entzug an. Mehrere Verwaltungsgerichte (VG) haben jedoch die Löschungsbestimmung auch auf den Verzicht angewandt (z.B. VG Freiburg, Beschluss v. 11.09.2008, Az. 1 K 1546/08). Voraussetzung war, dass der Betroffene in Kürze mit einer Entziehung rechnen musste und er nur deshalb verzichtet hatte, um weitere Kosten zu sparen. Im Gegenzug erklärten die Gerichte § 4 Abs. 10 StVG mit der darin enthaltenen Sperrfrist und der Notwendigkeit der Vorlage eines Gutachtens auch beim Verzicht für anwendbar.
BVerwG: Keine bewusste gesetzgeberische Regelungslücke
Auf die bewusste gesetzgeberische Entscheidung hat nun auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hingeweisen: Einer analogen Anwendung von § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG stehe entgegen, dass der Normgeber ausweislich der Gesetzesbegründung bei Verzichtsfällen bewusst von einer Löschung der Punkte abgesehen hat. Somit fehle es an einer für eine Analogie erforderliche dem Gesetzgeber unbewusste Regelungslücke.
Im zu entscheidenden Fall hatte das Landratsamt Berchtesgadener Land einen Verkehrssünder mit einem schon erheblichen Punktekonto im Oktober 2005 aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Dafür aber hatte der Mann kein Geld. Da ihm außerdem ein Fahrverbot auferlegt worden war, verzichtete er gleich ganz auf seinen Führerschein. Nachdem er an einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung teilgenommen hatte, erhielt er im September 2006 eine neue Fahrerlaubnis. Im Oktober 2007 ordnete das Landratsamt die Teilnahme an einem Aufbauseminar an, da die hierfür erforderlichen 14 Punkte im Verkehrszentralregister erreicht seien. Hiergegen wandte der Mann ein, wegen seines Verzichts auf die Fahrerlaubnis müssten die zuvor eingetragenen Punkte gelöscht werden.
Auch das Berufungsgericht, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, hatte für den Fall des Verzichts keine gesetzliche Regelungslücke gesehen. Allerdings hielten die Richter eine Gleichbehandlung mit dem Fall des Führerscheinentzugs aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) für geboten. Dieser Ansicht erteilten die Leipziger Richter nun eine Absage: Einer erweiternden Auslegung der Löschungsregelung aus Gründen der Gleichbehandlung bedürfe es nicht; die vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG vorgesehene Differenzierung zwischen einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis und deren Entziehung durch die Fahrerlaubnisbehörde sei sachlich gerechtfertigt.
Der Autor Adolf Rebler ist Regierungsamtsrat in Regensburg und Autor zahlreicher Publikationen zum Straßenverkehrsrecht.
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Adolf Rebler, BVerwG-Urteil über Verkehrssünder: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2681 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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