Eine Frau will mit Niqab Auto fahren dürfen, doch ihr Antrag wird abgelehnt. Zu Recht, so das OVG Rheinland-Pfalz, zu groß sei die Gefahr einer Sichtbehinderung. Das OVG NRW hatte kürzlich ebenso argumentiert, aber anders entschieden.
Erneut ist eine Muslima vor Gericht mit einem Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Tragen eines Niqab am Steuer gescheitert. Ein Niqab ist eine Verschleierungsform für muslimische Frauen, die das gesamte Gesicht bis auf die Augen verdeckt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz sieht darin eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Denn der Niqab beeinträchtige die Sicht der Fahrerin (Beschl. v. 13.08.2024, Az. 7 A 10660/23.OVG).
Die Straßenverkehrsordnung (StVO) verbietet Autofahrern in § 23 Abs. 4, das Gesicht "so zu verhüllen oder zu verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist". Die Muslima beantragte beim Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz als zuständiger Verkehrsbehörde, von dieser Regelung eine Ausnahme zu machen. Ihre religiöse Überzeugung verpflichte sie dazu, in der Öffentlichkeit einen Niqab zu tragen. Ein Beharren auf der Regelung des § 23 Abs. 4 StVO verletze daher ihre Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz (GG).
Doch der Landesbetrieb Mobilität lehnte den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ab. Die hiergegen von der Frau erhobene Klage scheiterte zunächst vor dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, das auch die Berufung nicht zuließ. Nun lehnte das OVG den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Zwar liege hier ein Eingriff in die Religionsfreiheit vor, dieser sei jedoch gerechtfertigt. Damit teilt das Gericht im Wesentlichen die Rechtsauffassung des OVG NRW, das kürzlich in einem gleich gelagerten Fall allerdings die Verkehrsbehörde verpflichtete, die Sache neu zu bescheiden (LTO berichtete).
Anders als in NRW-Fall: keine Ermessensfehler
Das OVG NRW hatte Ermessensfehler bei der Behörde angemahnt, weil diese das Niqab-Verbot teilweise mit unzulässigen Erwägungen begründet habe. So hatte die Verkehrsbehörde in NRW nicht nur mit der Sichtbeeinträchtigung argumentiert, sondern auch einen Grund angeführt, der unter Kritikern muslimischer Verschleierungen beliebt ist: Wenn nur die Augenpartie sichtbar ist, beeinträchtige dies die nonverbale Kommunikation mit Gestik und Mimik. Das OVG NRW dagegen hatte Zweifel geäußert, inwiefern diese Kommunikation im Verkehr tatsächlich erforderlich sei, und war darüber hinaus der Ansicht, ein Niqab beeinträchtige die Möglichkeiten nonverbaler Kommunikation nicht.
Ferner hatte das Gericht in Münster beanstandet, dass die dortige Verkehrsbehörde im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nicht die Fahrtenbuchauflage als milderes Mittel erwogen hatte. Eine Fahrtenbuchauflage verpflichtet den Fahrzeughalter dazu, ein Fahrtenbuch zu führen, in dem er für jede Fahrt mit einem bestimmten Fahrzeug Fahrtbeginn und -ende sowie die Person des Fahrers protokolliert.
Solche Ermessensfehler stellte das OVG Rheinland-Pfalz im vorliegenden Fall dagegen nicht fest. Hier hatte der Landesbetrieb Mobilität das Festhalten am Niqab-Verbot allein mit der erschwerten Identifizierung der Fahrerin sowie der Sichtbehinderung begründet. Eine Fahrtenbuchauflage hatte die Behörde als milderes Mittel diskutiert, aber mangels Effektivität ausgeschlossen. An dieser Ermessensprüfung hatten die Koblenzer Richter nichts auszusetzen.
Fahrtenbuchauflage gewährleistet keine freie Sicht
Sie betonten, dass § 23 Abs. 4 StVO die Sicherheit im Straßenverkehr gewährleisten und andere Verkehrsteilnehmer schützen solle. Diesem Schutzzweck dient die Vorschrift laut Mitteilung des OVG vom Freitag in zweifacher Hinsicht, "indem sie zum einen dazu beitrage, im Fall automatisiert erfasster Verkehrsverstöße die Identität des Fahrzeugführers festzustellen, und zum anderen der Gefahr von Sichtbehinderungen begegne".
Eine Fahrtenbuchauflage erreiche beide Funktionen nicht. Sie sei "nicht annähernd gleich geeignet zur Identifizierung von Verkehrsteilnehmern im Rahmen automatisierter Verkehrskontrollen". Denn die Fahrtenbuchauflage bezieht sich immer nur auf ein bestimmtes Kraftfahrzeug und nicht auf die Person. Erlegte man der Niqab-Trägerin für ein Fahrzeug eine Auflage auf, so könne sie sich dem dadurch entziehen, dass sie – erlaubterweise – ein anderes Fahrzeug fährt. "Zur Gewährleistung der Rundumsicht des Fahrzeugführers wäre eine solche Fahrtenbuchauflage ohnehin nicht geeignet", so das OVG zur Gefahr der Sichtbehinderung.
Schließlich ging das OVG im Rahmen noch auf Alternativen für die Muslima ein. Sie könne auch den ÖPNV nutzen, um nicht an der Ausübung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit gehindert zu sein, so das Gericht. Dies sei ihr auch zuzumuten. Zwar hatte die Frau Knieprobleme vorgetragen, nach Ansicht des OVG ist jedoch nicht ersichtlich, wieso sie diese an der Nutzung von Bus und Bahn hindern sollten – "zumal im ÖPNV meistens auch Sitzplätze zur Verfügung stehen dürften".
Ferner verwiesen die Richter die Frau auf die Möglichkeit, anstelle eines Autos auf ein sogenanntes Kraftrad umzusteigen. Hierfür gilt zwar eine Helmpflicht, jedoch kein Verschleierungsverbot (§ 21a Abs. 2 S. 2 StVO).
mk/LTO-Redaktion
mit Material der dpa
OVG Rheinland-Pfalz zu Verhüllungsverbot: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55264 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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