Aus dem Poesiealbum der Daseinsvorsorge: In dubio pro Deut­sche Bun­des­bahn

von Martin Rath

22.09.2024

Noch vor wenigen Jahren war es grundsätzlich unzulässig, der Bahn durch Fernbus-Linienverkehr Konkurrenz zu machen. Mit welcher politischen Philosophie das begründet wurde, zeigt ein Fall aus der frühen Bundesrepublik.

Menschen, die für ein Unternehmen die Öffentlichkeitsarbeit machen müssen, scheinen allgemein dazu zu neigen, übertrieben optimistisch aufzutreten. 

Das fällt spätestens dann auf, wenn es sich um die Unternehmenskommunikation der Deutsche Bahn AG handelt. Sie verbreitete unlängst eine Pressemitteilung unter der Überschrift: "Deutschland feiert den dritten Tag der Schiene". 

Zu Schwermut neigende Juristinnen und Juristen werden vielleicht daran denken, dass einst die Weimarer Reichsverfassung und mit ihr auch das Grundgesetz unter einem Feiertag noch eine Gelegenheit zur "seelischen Erhebung" verstanden. Aber gut, die Zeiten der Staatsbahn sind vorbei, ein Aktionstag für die Presse ist kein gesetzlicher Feiertag. Doch etwas seelische Erhebung müsste die Bahn hier doch trotzdem liefern, wenn man schon so große Ankündigungen macht. 

Bösen Zungen wird hingegen auffallen, dass die zuständigen Verbände des deutschen Schienenverkehrs-Lobbyismus diesen "Tag der Schiene" gleich auf einen Zeitraum von drei Tagen – vom 20. bis 22. September 2024 – verteilt haben. 

Einen Tag auf drei zu verteilen, scheint für die deutsche Fahrplankultur gar nicht unangemessen zu sein, mit Blick auf das Projekt- und Planungswesen der öffentlichen Hand in Deutschland ist das sogar ein bisschen zu knapp gerechnet. 

Wie man ein Busunternehmen aus der Bahn wirft 

Aber man soll nicht zu ungnädig mit Menschen sein, die bloß die Medienarbeit machen. Denn eine saubere und pünktliche Bahn lebt bekanntlich von Voraussetzungen, die sie nicht allein garantieren kann. Eine Entscheidung aus den Anfangsjahren der Republik und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zeigt, mit welchen Mitteln dieser Einsicht damals gefolgt wurde. 

Seit 1946, also in einer von Kriegszerstörungen und von extremer Knappheit geprägten Zeit, hatte ein Busunternehmer einen Omnibus-Linienverkehr zwischen Wiesbaden und Frankfurt am Main aufgenommen. 

Von Montag bis Samstag wurden täglich sechs Hin- und Rückfahrten zwischen beiden Städten, sonntags eine Hin- und Rückfahrt genehmigt. Der Antrag, die Zahl der Fahrten sonntags verdoppeln und werktags zehn Mal täglich die Fahrt zwischen den beiden Metropolen des Rhein-Main-Gebiets anbieten zu dürfen, wurde dem Unternehmen vom Regierungspräsidenten in Wiesbaden im Jahr 1950 verweigert. 

Der Genehmigungspflicht waren Unternehmer, die gewerbsmäßig Personen "mit Kraftomnibussen linienmäßig" befördern wollen, durch das "Gesetz über die Beförderung von Personen zu Lande" vom 4. Dezember 1934 unterworfen worden. 

§ 4 Personenbeförderungsgesetz definierte "linienmäßig" als wöchentlich mehr als zwei Fahrten zwischen bestimmten Punkten während eines Zeitraums von zwei aufeinander folgenden Monaten, sofern das Unternehmen dem öffentlichen Verkehr dient – also einem allgemeinen Publikum zugänglich ist. 

Die Genehmigung des Pendelverkehrs zwischen Wiesbaden und Frankfurt am Main hing aber nicht allein davon ab, dass sich die Busfahrer als tüchtig oder die Bremsbeläge als zuverlässig erwiesen. Vom einen mochte damals mehr, vom anderen weniger ausgegangen werden. 

Die "Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Lande" vom 26. März 1935 gab der Genehmigungsbehörde zudem vor, § 11 Abs. 1 Satz 1: "Die Prüfung, ob die Interessen des öffentlichen Verkehrs gewahrt sind, soll sich vornehmlich auf das Verkehrsbedürfnis, bei Straßenbahnen und im Linienverkehr auch auf die Linienführung, die Zahl der täglichen Fahrten, die Wahl der Halteplätze usw. erstrecken." 

Der Regierungspräsident in Wiesbaden lehnte die Genehmigung zusätzlicher Fahrten mit dem Argument ab, dass der inzwischen als Deutsche Bundesbahn firmierende Staatsbahnbetrieb zwischen Wiesbaden und Frankfurt am Main einen ausreichenden Schienenverkehr anbiete. 

Sofern zusätzlicher Busverkehr erforderlich sei, könne die Bundesbahn ihn selbst leisten. Und ein Unternehmen des privaten Linienverkehrs laufe nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 der Durchführungsverordnung hier den "Interessen des öffentlichen Verkehrs zuwider", "wenn es bereits vorhandenen Verkehrsunternehmen einen unbilligen Wettbewerb bereitet oder ihrer dem öffentlichen Bedürfnis mehr entsprechenden Ausgestaltung vorgreift".  

Zudem erklärte das bereits 1937 novellierte und neu verkündete Personenbeförderungsgesetz in § 9 Abs. 2 harsch: "Die Genehmigung ist zu versagen, wenn kein Bedürfnis vorliegt." 

Besser durch die Busse der Bundesbahn bedient würden die Leute in der Region unter anderem deshalb, weil eine Strecke von Frankfurt am Main über Wiesbaden, St. Goarshausen und Neuwied bis nach Bonn offeriert werde. 

Verwaltungsgerichte entscheiden zunächst unternehmensfreundlich 

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden und der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden mit Urteilen vom 16. April 1951 und 20. Februar 1953 zugunsten des Omnibus-Unternehmens. 

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof ließ, wie das Revisionsurteil des BVerwG festhält, kein Argument zugunsten einer Ausweitung des privaten Linienverkehrs zwischen Frankfurt am Main und Wiesbaden aus. 

Mit Blick auf die zunächst von der amerikanischen Militärregierung, dann vom Grundgesetz zur Gewerbefreiheit formulierten Vorstellungen sei die Bedürfnisprüfung nach § 9 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz 1937 im überwiegenden öffentlichen Interesse zwar zulässig und notwendig, dürfe sich aber nicht darin erschöpfen, bestehende Unternehmen vor dem Wettbewerb zu schützen. 

Das "gerichtsbekannte Bedürfnis nach einer möglichst schnellen, preisgünstigen Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen den beiden großen Städten" hätten weder der Schienen- noch der bisherige private Buslinien-Verkehr "voll befriedigen können". 

Der beigeladenen Deutschen Bundesbahn erklärten die Richter des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zwar, dass ihr als "gemeinwirtschaftliches Unternehmen" das Geschäft nicht durch privatwirtschaftliche Buslinien allzu sehr verdorben werden dürfe, weil "auf den wirtschaftsgünstigen Verkehrslinien eine ungerechtfertigte Konkurrenz erwachse". 

Allerdings sei es "praktisch kaum möglich, die Auswirkungen eines mit der Beigeladenen in Wettbewerb stehenden Unternehmens auf deren Leistungsfähigkeit insgesamt zu beurteilen". 

Die Strecke Frankfurt am Main/Wiesbaden könne der Deutschen Bundesbahn – wie dem auch sei – kaum zum Verhängnis werden, denn: "Gegenüber dieser stets stark besetzten Eisenbahnlinie mit ihrer schon damals erheblichen, wenn auch nicht voll ausreichenden Kapazität wäre die Erweiterung des Omnibusverkehrs der Klägerin durch vier Fahrtenpaare nicht wesentlich ins Gewicht gefallen." 

BVerwG stärkt der Deutschen Bundesbahn die Schiene 

Vor dem BVerwG scheiterte der Omnibus-Unternehmer jedoch, einen Teil seiner Interessen hatte er schon im Verfahren aufgeben müssen. 

Die Richter des BVerwG liefen im Urteil vom 30. November 1954 (Az. I C 94.53) zur Höchstform auf, um das staatliche Interesse daran zu begründen, den öffentlichen Personenverkehr zu steuern. 

"Die Genehmigung ist zu versagen, wenn kein Bedürfnis vorliegt." – Diesen hartkantigen Satz aus § 9 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz (PBeFG) 1937 hatte der Senat zwar schon in einem früheren Urteil vom 10. März 1954 (Az. I C 25.53) mit Blick auf die Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) restriktiv gewürdigt. 

Dafür sollte nun aber der im Abgang kaum weniger bittere Absatz 1 dieser Vorschrift durchgreifen: 

 "Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn der Antragsteller zuverlässig ist, die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebs gewährleistet ist und das Unternehmen den Interessen des öffentlichen Verkehrs nicht zuwiderläuft." 

Seine Argumente dazu, dass der privatwirtschaftliche Linienverkehr den "Interessen des öffentlichen Verkehrs" im Zweifel zuwiderlaufe, hätte das BVerwG gut in Professor Forsthoffs Poesie-Album der öffentlichen Daseinsvorsorge schreiben können. Um § 9 Abs. 1 PBeFG 1937 als Auffangnorm für den harschen zweiten Absatz passend zu machen, proklamierte es: 

"In einem modernen Staatswesen gehört die Sicherstellung geordneter Verhältnisse im öffentlichen Verkehr zu den für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgütern. Diesen gegenüber ist die Berufung auf die Grundrechte um deswillen ausgeschlossen, weil die Grundrechte den Bestand der staatlichen Gemeinschaft voraussetzen, durch die sie gewährleistet werden." 

Nach weiteren Erwägungen zum an sich nützlichen privatwirtschaftlichen Busverkehr unter den Bedingungen der Beförderungspflicht kam das Gericht zum Befund: 

"Ist somit der Omnibuslinienverkehr öffentlicher Verkehr, der zugleich ein öffentliches Verkehrsbedürfnis zu erfüllen hat, so muß die Genehmigung einer Omnibuslinie daran gebunden werden, daß der Betrieb der geplanten Linie nicht den Interessen des öffentlichen Verkehrs zuwiderläuft." 

Es gebe aber keine objektiven Maßstäbe und Erfahrungssätze, um diese "Interessen des öffentlichen Verkehrs" zu beurteilen. 

Damit war es auch vorbei mit den noch so intimen Kenntnissen der höchsten hessischen Verwaltungsrichter, die offenbar wussten, wie schlecht sich zwischen Frankfurt am Main und Wiesbaden pendeln lässt. 

Nun hieß es: "Die Entscheidung hierüber muß dem Willensentschluß der Verwaltungsbehörde überlassen bleiben, Schon ihrer Struktur nach kann es sich dabei nicht um eine Rechtsfrage handeln. Die Verwaltungsgerichte haben danach nur darüber zu wachen, daß die Verwaltungsbehörden bei diesen Entscheidungen das ihnen zustehende Ermessen nicht fehlerhaft handhaben." 

Es müssen glückliche Zeiten gewesen sein, dass es damals noch Richtern vorbehalten war, sich mit derartigen Strukturbehauptungen argumentativ aus der Affäre zu ziehen – heute ist "strukturell" zu sein ja ein Grund für und gegen alles. 

Was nicht mehr ins Poesie-Album der Daseinsvorsorge passte 

Zur Liberalisierung des Linienverkehrs mit Fernbussen konnte sich der Bundesgesetzgeber erst im Jahr 2013 durchringen, knapp 80 Jahre blieben die Vorgaben aus dem Personenbeförderungsrecht des NS-Staates im Kern bestehen. 

Entscheidungen wie die einschlägigen Urteile des BVerwG aus dem Jahr 1954 machten den staatlichen Lenkungsanspruch dabei nur unwesentlich geschmeidiger, hatten ihn bloß noch gegenüber der neuen Berufsfreiheitsdogmatik zu rechtfertigen – mit Pathosformeln zum Ausschluss von Grundrechtsfragen, die heute befremden sollten. 

Böse Zungen hätten seinerzeit auf den Gedanken kommen können, das BVerwG an den Geist des Gesetzgebers zu erinnern. Der hatte sich 1934 klar mit einer Präambel zu Wort gemeldet, die bereits mit Pathos nicht geizte: 

"Im nationalsozialistischen Staat gehört die Führung des Verkehrs zu den Aufgaben des Staates. Die Verkehrsmittel können sich in öffentlicher oder privater Hand befinden. Alle müssen sich jedoch an Normen halten, die einheitlich für das ganze Reich erlassen werden. Jedem Beförderungszweige müssen diejenigen Aufgaben zugewiesen werden, die er im Rahmen des Gesamtverkehrs und der Wirtschaft am besten zu lösen vermag. Voraussetzung hierfür ist ein Reichsverkehrsrecht, das in mehreren Gesetzen die unmittelbar zusammengehörenden Verkehrszweige regelt. Die Reichsregierung hat deshalb das folgende Gesetz beschlossen, welches die Landverkehrsmittel für den öffentlichen Personenverkehr mit Ausnahme der Eisenbahnen einer einheitlichen Ordnung unterwirft …" 

Es mag heute zwar zu Schwermut oder Boshaftigkeiten einladen, wie der demokratische Rechtsstaat der Gegenwart das Verkehrswesen regelt. – Glücklicherweise braucht man sich aber wenigstens nicht ausmalen, wie Helmut Qualtinger es – analog zu seinen berühmten "Mein Kampf"-Lesungen – vortragen würde. 

Zitiervorschlag

Aus dem Poesiealbum der Daseinsvorsorge: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55466 (abgerufen am: 27.09.2024 )

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