Um ihrem Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen, wollen Demonstranten sich bei laufendem Verkehr von einer Autobahnbrücke abseilen. Zu gefährlich, meinten Versammlungsbehörde und VG. Das Gericht hatte aber eine andere Idee.
Die Autobahn 27 (A 27) wird am Mittwoch für eine Stunde zwischen dem "Bremer Kreuz" und "Achim Nord" wegen einer Demonstration gesperrt. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Stade im Eilverfahren entschieden (Beschl. v. 27.08.2024, Az. 10 B 1407/24). Die Versammlungsfreiheit wiege so schwer, dass die von den Demonstranten ursprünglich geplante Aktion wenigstens teilweise zu ermöglichen sei.
Den Antrag gestellt hatte der Veranstalter einer Demonstration für die Verkehrs- sowie Klimawende und gegen den Ausbau von Autobahnen. Um dem Anliegen der Demonstranten Ausdruck zu verleihen, wollen diese sich nicht nur auf einer Brücke versammeln, sondern sich von dieser auch abseilen, um Spruchbänder in die Höhe zu halten. Das allerdings bei laufendem Autobahnverkehr – den Demonstranten ging es eigentlich wohl darum, dass die Fahrenden die hochgehaltenen Spruchbänder lesen.
Das Abseilen bei laufendem Verkehr wird jedoch nicht wie geplant stattfinden. Erlaubt wird stattdessen das Abseilen bei Vollsperrung der A27 für eine Stunde.
Die Versammlungsbehörde sah im Abseilen über dem fließenden Verkehr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Sie erlaubte daher nur die Versammlung auf der Brücke. Das VG stimmte dieser Gefahreneinschätzung aufgrund "überzeugender Darlegungen" der Autobahn GmbH des Bundes und der Bewertung der Polizeiinspektion Verden/Osterholz zu. Demnach geht auch die Kammer von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aus, wenn sich die Demonstranten bei fortlaufendem Verkehr von der Brücke abseilten. Das Brückenwerk sei so niedrig, dass ein Kontakt der herabhängenden Demonstranten insbesondere mit dem Schwerlastverkehr nicht auszuschließen sei, so das Gericht.
Im Rahmen der praktischen Konkordanz sei jedoch ein Ausgleich zwischen dem öffentlichen Sicherheitsinteresse und dem Versammlungsgrundrecht der Demonstranten aus Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz herzustellen. Den Demonstranten nur zu erlauben, sich auf der Brücke zu versammeln, ermögliche nicht den "angestrebten Beachtungserfolg" ihrer Aktion. So komme eine zeitlich begrenzte Abseilaktion für eine Stunde zwischen 12 Uhr und 13 Uhr als Interessenausgleich in Betracht.
Zwar müsse dafür teilweise das "Bremer Kreuz" gesperrt werden. Das sei aber eine der Öffentlichkeit zumutbare Maßnahme. Die Versammlungsbehörde habe nicht substantiiert dargelegt, dass durch die sperrungsbedingten Stauungen größere Unfälle drohten. Rechtzeitige Hinweise, Warnungen und Geschwindigkeitsreduzierungen bis zur Sperrung hält das VG ebenfalls für zumutbar und zeitlich umsetzbar.
OVG hält Autobahnsperrung nicht für nötig
Update am Tag der Veröffentlichung, 17.12 Uhr: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Niedersachsen hat die Entscheidung auf die Beschwerde der Stadt Achim hin abgeändert (Beschl. v. 28.08.2024, Az. 4 ME 136/24). Antragsgerecht habe die Autobahn demnach nur von 12.30 Uhr bis 13 Uhr gesperrt werden müssen.
Das OVG stellte dabei ausdrücklich klar, dass es der Rechtsauffassung des VG nicht folge. Insbesondere sei zum Ausgleich der betroffenen Grundrechte nicht erforderlich gewesen, eine Vollsperrung der A 27 anzuordnen. Denn mit dieser Vollsperrung der Autobahn seien erhebliche Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer sowie Anrainer an den Umleitungsstrecken verbunden, hinter denen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zurückstehen müsse.
Nach den vorliegenden Gefahrenprognosen würde bereits eine kurzzeitige Sperrung der betroffenen Strecke zu Rückstaus im gesamten Bremer Stadtbereich und Umland führen, was die Gefahr von Auffahrunfällen erhöhe. Zu solchen ist es laut übereinstimmenden Lokalmedienberichten auch gekommen.
Die Streckensperrung sei aufgrund der Vor- und Nachbereitungszeiten auch für einen wesentlich längeren Zeitraum als die angezeigte Versammlungsdauer von einer Stunde erforderlich. Eine Reduzierung der sich aus der Vollsperrung ergebenden Verkehrs- und Unfallgefahren durch ein Verkehrssicherungskonzept sei in der Kürze der Zeit bis zum geplanten Versammlungsbeginn kaum möglich.
Da der Beschwerdeantrag der Stadt Achim aber nur darauf gerichtet gewesen sei, den Sperrzeitraum von einer Stunde auf eine halbe Stunde zu reduzieren, sei der Senat an diese konkrete Antragstellung gebunden gewesen und habe daher auch lediglich die Verkürzung der Sperrzeit anordnen können.
ms/LTO-Redaktion
Verwaltungsgericht Stade zur Versammlungsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55288 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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