BVerfG zu Braunkohletagebau: Energiepolitik im Belieben des Gesetzgebers

2/2: Gemeinwohl darf nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen

Das BVerfG erkennt zwar die fast völlige Vagheit des Gemeinwohls, welches traditionell jeder – besonders gerne autoritäre Regime – für die jeweils eigenen politischen Ziele nachdrücklich in Anspruch nimmt. Es zieht dann aber die wenig überzeugende Schlussfolgerung, dass der Gesetzgeber jedes beliebige Gemeinwohl festsetzen darf, solange die Verfassung ein Ziel nicht ausdrücklich verbietet. Solche explizite Verbote gibt es jenseits des gemäß Art. 26 GG verbotenen Angriffskriegs kaum.

Will man trotzdem eine völlig formelhafte Prüfung und Einschränkung von Grundrechten als den Höchstwerten einer liberal-demokratischen Verfassung aus beliebigem Anlass vermeiden, dann darf es nicht genügen, dass eine Enteignung von einem "gewichtigen" Gemeinwohlbelang getragen ist, wie es das BVerfG nennt.

Denn wenn der Gesetzgeber weitgehend beliebig festlegen kann, was Gemeinwohl ist, dann ist nicht mehr unterscheidbar, welche Belange gewichtig oder weniger gewichtig sind. Besser sollte anhand der Verfassung bestimmt werden, welche Interessen anzuerkennen sind und Grundrechtseingriffe rechtfertigen können. Und auch der Rang jener Belange könnte verfassungsinterpretativ durchaus teilweise aufgeklärt werden, so dass die Angemessenheit von Eingriffen trotz aller demokratischen Spielräume nicht völlig beliebig bliebe.

Demokratie contra Umweltgrundrechte

Die Karlsruher Richter übersehen hier auch, dass das Grundrecht auf Leben, Gesundheit und ein Existenzminimum aus Art. 2 GG gemeinsam mit europa- und völkerrechtlichen Menschenrechtsstandards hohe Hürden für ein "Weiter so" bei klimaschädlichen Handlungen aufrichtet. Fördert der Staat den Klimawandel, indem er anhaltend auf die fossilen Brennstoffe wie Kohle bei Strom, Gas und Treibstoff setzt, droht er nach natur- und wirtschaftswissenschaftlichem Kenntnisstand eine globale Katastrophe mit zu verursachen. Denn eine globale Erwärmung könnte vermehrt Naturkatastrophen auslösen, Nahrungs- und Wasserversorgung in Teilen der Welt prekär werden lassen, damit Migrationsströme, Kriege und Bürgerkriege wahrscheinlicher machen und mit alledem auch flagrante ökonomische Schäden anrichten.

Dies ist dann jedoch nicht einfach eine Frage beliebiger gesetzgeberischer Zwecksetzungen und Abwägungsspielräume, wie es der Hinweis des BVerfG auf das vage Umweltstaatsziel in Art. 20a GG nahe legt. Vielmehr muss der Schutz vor einem verheerenden Klimawandel für Menschen hierzulande wie auch jenseits der Grenzen verfassungsinterpretativ Priorität haben. Denn wer den Grundrechtsschutz für Leben, Gesundheit und ein Existenzminimum hier zurückzustellen bereit ist, droht angesichts der beschriebenen Folgen das freiheitlich-demokratische System als solches zum Einsturz zu bringen. Das jedoch dürfte den gesetzgeberischen Spielraum überschreiten.

Auch mit der Faktenbasis des Klimawandels darf der Gesetzgeber nicht beliebig verfahren. Klare Tatsachen muss auch ein demokratischer Gesetzgeber als solche akzeptieren und kann diese nicht durch beliebige fiktive Gegenannahmen ohne wissenschaftliche Grundlage ersetzen. Denn gerade von den Grundrechten bliebe nichts übrig, wenn man dem Gesetzgeber nicht nur – zwangsläufig – in Zweifelsfällen, sondern generell erlauben würde, sich die Tatsachen nach eigenem Gusto zurechtzulegen.

Der Autor Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., Jurist, Philosoph und Soziologe, Universität Rostock und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig, ist politikberatend zu Nachhaltigkeitsfragen tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen Energie- und Klimaschutzrecht, WTO-Recht, Gerechtigkeits- und Menschenrechtstheorie und transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.

Zitiervorschlag

Felix Ekardt, BVerfG zu Braunkohletagebau: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10419 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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