Sind Braunkohletagebaue zulässig, auch wenn die klimaschädliche Kohle die Menschenrechte künftiger Generationen gefährdet? Gibt es ein Grundrecht auf Heimat gegen das braunkohlebedingte Abbaggern von Dörfern? Und was heißt eigentlich "Gemeinwohl"? Auf diese Fragen gab das BVerfG im Fall Garzweiler eine klare, wenngleich wenig überzeugende Antwort, meint Felix Ekardt.
Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein lange erwartetes Urteil zum nordrhein-westfälischen Braunkohletagebau Garzweiler II gefällt. Zugrunde liegen zwei Verfassungsbeschwerden von Bürger- und Umweltverbandsseite, wobei es jeweils um die Enteignung von Grundstücken für den Tagebau ging. Die Karlsruher Richter haben in den Grundsatzfragen ein klares Urteil gefällt (Urt. v. 17.12.2013, Az. 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08): Die Braunkohlenutzung ist, so das Gericht, trotz ihrer fatalen Nebeneffekte für den Klimawandel und die Zerstörung der Landschaft verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie rechtfertige auch Enteignungen.
Was Gemeinwohl etwa im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sei, entscheide allein – und weitestgehend beliebig – der Gesetzgeber. Er dürfe diese Aufgabe aber nicht der Verwaltung überlassen, wie dies bisher im Bergrecht der Fall war. Zu einer Gesetzesänderung zwinge das gleichwohl nicht, denn man könne das Bergrecht so lesen, dass die zulässigen Enteignungszwecke dort abschließend aufgezählt sind.
Die Verfassungsrichter bestätigen ferner die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Nach dieser muss die Gesamtabwägung über einen Braunkohletagebau einschließlich einer darauf bezogenen Klagemöglichkeit Betroffener künftig – anders als in der Vergangenheit – bei der Tagebau-Genehmigung ansetzen und nicht erst bei der Enteignung. Das entspricht freilich einfach nur der Praxis bei allen anderen Großprojekten; das Bergrecht hatte hier bis dato eine Sonderrolle. Dass das enteignete Grundstück für das Bergbauvorhaben wirklich nötig und das Vorhaben seinerseits das verfolgte Gemeinwohlziel auch fördern muss, sind derweil wenig überraschende Folgerungen aus der gängigen Dogmatik grundrechtlicher Verhältnismäßigkeitsprüfungen.
Kein Recht auf Heimat
Die Begründung des Urteils überzeugt nicht. Überraschend ist bereits, dass das BVerfG dem Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) keinerlei Bedeutung beimisst, wenn jemand durch einen Tagebau seine jahrzehntelang angestammte Heimat verliert, sondern dies als rein wirtschaftliches Problem der Eigentumsfreiheit einordnet. Dabei beschränkt das Gericht den Schutzbereich des Art. 11 GG auf Wohnorte, an denen ein Wohnen erlaubt ist, statt einen Grundrechtseingriff zuzugeben und diesen dann auf seine Rechtfertigung anhand verfassungsimmanenter Schranken wie dem Schutzgut Energieversorgung zu prüfen. Vom Wortlaut ist diese Auslegung nicht gedeckt.
Verblüffend ist in der Grundrechtsprüfung auch, dass es dem BVerfG genügt, dass eine Landesregierung das Gemeinwohl in energiepolitischen Leitlinien festlegt. Ein Parlamentsvorbehalt wird also abgelehnt, wogegen das Gericht in der Vergangenheit schon so bedeutungsschwangere Themen wie die Einführung des Sexualkundeunterrichts oder das religiöse Tragen von Kopftüchern dem Parlamentsvorbehalt zugeordnet hat. Man gewinnt hier den Eindruck, dass den Karlsruher Richtern die Tragweite der Energie- und Klimapolitik nicht vollauf bewusst ist und eher im Problemhorizont früherer Zeiten verbleibt.
Felix Ekardt, BVerfG zu Braunkohletagebau: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10419 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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