7/8: Leben ist kein Schaden
Ganz anders als der 5. Strafsenat in Sachen Sterbebegleitung entschied im April der VI. Zivilsenat. Dessen lang erwartete Revisionsentscheidung in Sachen "Leben als Schaden" war in ihrer Reichweite selbst für den Anwalt des erfolgreichen beklagten Arztes überraschend. Dieser hatte den Vater des Klägers jahrelang künstlich weiter ernährt, ohne mit dem Sohn oder dem gesetzlichen Vertreter Rücksprache zu halten.
Überraschend war weniger die Feststellung, ein Leben könne niemals ein Schaden sein. Dies war stets umstritten und von Gerichten unterschiedlich beurteilt worden. Die Option eines Weiterlebens ohne Leiden habe es für den demenzkranken Mann, der die letzten Jahre seines Lebens im Siechtum verbrachte, ohne sich noch mitteilen zu können, nicht gegeben, stellte der Senat klar. Daher sei die einzige Vergleichsmöglichkeit die Beendigung des Lebens. Das menschliche Leben aber sei ein "höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig", so die Richter. "Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen."
Die mit dem Weiterleben verbundenen wirtschaftlichen Einbußen könnten hingegen zwar ein Schaden sein, räumte der Senat ein. Aber selbst wenn der Arzt, der den Demenzkranken am Leben erhielt, damit seine ärztlichen Behandlungspflichten verletzt hätte, dienten diese jedenfalls nicht dazu, das Vermögen des Patienten für seine Erben zu erhalten, so der BGH. Das ist mindestens eine Aufweichung des Grundsatzes, dass Ärzte für schuldhafte Aufklärungs- und Behandlungsfehler haften. Damit hatte in dieser Reichweite niemand gerechnet.
Sollten Juristen kennen: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39269 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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