Urlaub, Urlaub und noch mal Urlaub - in den diesjährigen Fällen beim BAG schlägt sich die gute wirtschaftliche Lage nieder, es geht weniger um Substanzielles wie etwa Kündigungen. Das BAG änderte dabei mehrmals seine Rechtsprechung.
1/9: Kein Urlaub vom Urlaub
Dauerbrenner Urlaub: Den hätte eine Arbeitnehmerin gerne auch im Sonderurlaub bekommen, Urlaub vom Urlaub sozusagen. Das wäre ein bisschen viel des Guten, meinte das BAG (Urt. v. 19.03.2019, Az. 9 AZR 315/17) jedoch. Wer wegen eines vertraglich vereinbarten Sonderurlaubs in einem Kalenderjahr durchgehend nicht arbeitet, hat auch keinen Anspruch auf Erholungsurlaub für diesen Zeitraum.
Auch hier hat das BAG seine frühere Rechtsprechung geändert: Bislang entsprach es nämlich ständiger Rechtsprechung, dass Urlaubsansprüche auch während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses entstehen. Für einen Urlaubsanspruch war allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses relevant. Ob und wie viel der Arbeitnehmer im Kalenderjahr tatsächlich gearbeitet hatte, war ohne Bedeutung. Die Besonderheit lag hier gleichwohl in der konkreten vertraglichen Vereinbarung zwischen den Arbeitsparteien. Bei anderen ruhenden Arbeitsverhältnissen wie Elternzeit entstehen Urlaubsansprüche auch weiterhin.
2/9: Verfall von Urlaubsansprüchen
Die Frage nach dem Verfall von Urlaubsansprüchen hatte der Europäischen Gerichtshof (EuGH Urt. v. 06.11.2018, Az. C-684/16) bereits entschieden, drei Monate später setzte das BAG die Vorgaben der europäischen Richter um: Der automatische Verfall von Urlaubsansprüchen ist passé.
Urlaubsansprüche dürfen also nur noch dann verfallen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter sogar explizit auffordern, Urlaub zu nehmen, und über den drohenden Verfall aufklären – sonst bleibt der Urlaubsanspruch bestehen. Die bisher übliche bloße Ausweisung des Resturlaubs auf den Lohnabrechnungen dürfte damit nicht mehr reichen.
3/9: Erben haben Anspruch auf Urlaubsabgeltung
Urlaub sei ein höchstpersönlicher Anspruch – so haben es viele Juristen in Deutschland einst gelernt. Doch man muss offen sein für die neue Vorgabe aus Luxemburg. Und so gilt nun: Stirbt ein Arbeitnehmer, haben seine Erben Anspruch auf Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs. Auch mit dieser Rechtsprechung schloss sich also das BAG der des EuGH an (Urt. v. 22.01.2019, Az. 9 AZR 45/19).
Eine unionsrechtskonforme Auslegung der Normen des Bundesurlaubgesetzes (BUrlG) ergebe, dass der Resturlaub auch dann abzugelten ist, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet, entschied das BAG. Das ist also noch eine Änderung in der Rechtsprechung: Zuvor erkannte das BAG eine Abgeltung von Urlaubsansprüchen nur an, wenn bei dem Verstorbenen bereits ein Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden war (Urt. v. 12.03.2013, Az. 9 AZR 532/11).
4/9: Betriebsräte: Mitbestimmung ja, Blockade nein
Wenn der Betriebsrat nicht mitmacht, können Projekte in Unternehmen ins Leere laufen. Das ist in vielen Fällen gut, doch eine Blockade ohne zielführende Gespräche sind auch nicht Sinn der Sache. Den Betriebsrat träfen, so das BAG in diesem Jahr, nämlich Pflichten, er dürfe sich nicht ohne Angabe von Gründen pauschal verweigern, habe eine Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts (Beschl. v. 12. März 2019, Az. 1 ABR 42/17).
Zwar sind Blockadestrategien unter Inanspruchnahme der gesetzlichen Verfahrensregeln damit auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Der Betriebsrat muss aber wenigstens eine nachvollziehbare Begründung geben, wenn er sich allen Versuchen einer Einigung verschließen und zugleich dem Arbeitgeber verbieten will, nicht mitbestimmte Maßnahmen im Betrieb umzusetzen.
5/9: Der Chefarzt-Fall: Eine zweite Ehe ist kein Kündigungsgrund
Auch im Chefarzt-Fall hat das BAG nachgezogen: Der EuGH hat bereits 2018 entschieden, dass die nationalen Besonderheiten der Kirchen und die in der deutschen Verfassung insoweit verbrieften Rechte der europäischen Prüfung nicht standhalten. Daraufhin hat auch das BAG die Kündigung des Chefarztes eines katholischen Klink wegen Wiederheirat als diskriminierend und damit unwirksam qualifiziert (BAG, Urt. v. 20.2.2019, Az. 2 AZR 746/14).
Mitte des Jahres hat die katholische Kirche erklärt, dass sie auf eine Verfassungsbeschwerde verzichtet. Das Erzbistum Köln habe die schriftlichen Urteilsgründe des BAG eingehend geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, "dass eine erneute Überprüfung des zugrundeliegenden konkreten Sachverhalts durch das Bundesverfassungsgericht nicht angestrebt werden soll." Damit endet der Jahrzehnte währende kirchliche Sonderweg, eine jahrelange arbeitsgerichtliche Odyssee des Arztes und auch die öffentliche Diskussion um die divergierenden Meinungen zwischen BAG und Bundesverfassungsgericht.
6/9: Änderung bei der sachgrundlosen Befristung
Bei der sachgrundlosen Befristung hat das Bundesverfassungsgericht die Arbeitsrichter gerüffelt – und der siebte Senat war einsichtig und änderte seien Rechtsprechung. Damit ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 S. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) nicht mehr zulässig, wenn zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber bereits acht Jahre zuvor ein Arbeitsverhältnis von etwa eineinhalbjähriger Dauer bestanden hat, das eine vergleichbare Arbeitsaufgabe zum Gegenstand hatte (Urt. v. 23.01.2019, Az. 7 AZR 733/16).
Bis dahin sollte eine derartige Befristung zulässig sein, wenn die Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitnehmer länger als drei Jahre zurückliegt. Das BVerfG hatte 2018 entschieden, sie sei nur genau einmal erlaubt. Allerdings hatten die Luxemburger Richter auch entschieden, dass die Fachgerichte durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken können und müssen - nämlich dann, wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar werde – und darauf berief sich das BAG in seiner Entscheidung. Die Erfurter Richter nannten als Beispiele für eine erlaubte zweite sachgrundlose Befristung (nicht abschließend) Fälle, in denen eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder nur von sehr kurzer Dauer gewesen ist.
Ein Anschauungsfall bot sich 2019 auch noch: Eine erneute Einstellung mit einer sachgrundlosen Befristung beim selben Arbeitgeber ist erlaubt, wenn sie 22 Jahre nach der Beendigung des ersten Arbeitsverhältnisses erfolgt (Urt. v. 21.08.2019, Az. 7 AZR 452/17).
7/9: Überstundenausgleich auch bei Freistellung
Auf eine Kündigung – egal von welcher Seite – folgt oft eine Freistellung des Beschäftigten. So weit, so normal. Ebenso klar ist, dass Resturlaubsansprüche bei einer unwiderruflichen Freistellung in dieser Phase abgegolten werden, immerhin hat der Arbeitnehmer Planungssicherheit und kann sich einige schöne Tage machen.
Die Abgeltung gilt aber nicht automatisch auch für geleistete Überstunden, entschied das BAG (Urt. v. 20.11.2019, Az. 5 AZR 578/18). Nur wenn diese klar etwa in einem Vergleich thematisiert sind, könnte das anders beurteilt werden.
Für den Arbeitnehmer müsse erkennbar sein, welche Ansprüche der Arbeitgeber mit der Freistellung abgelten will: die Arbeitspflicht, Urlaub oder eben den Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos. Eine Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich erfülle den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos also nur dann, wenn in dem Vergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck komme, dass mit der Freistellung auch ein Positivsaldo auf dem Arbeitszeitkonto ausgeglichen werden solle. In diesem Fall musste die Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der Sekretärin mit einem monatlichen Bruttogehalt von 3.250 Euro noch rund 1.300 Euro nachträglich auszahlen.
8/9: Organisationsverschulden beim beA
Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist eigentlich auch nur ein Fax. Bei dem einen wie bei dem anderen müssen Anwälte ihre Mitarbeiter gut instruiert haben, um ein Organisationsverschulden auszuschließen. Versand und Eingang bei Gericht müssen genau kontrolliert werden, entschied das BAG (Beschl. v. 07.08.2019, Az. 5 AZB 16/19).
Die Mitarbeiterin einer Anwaltskanzlei hatte in dem zugrunde liegenden Fall zwar die Berufungsschrift über das beA übermittelt, aber keine Empfangsbestätigung bekommen. Doch nur damit habe der Anwalt die Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war und erst dann dürfe die Frist gestrichen werden. Einzig mögliche Alternative aus Sicht des BAG: eine telefonische Nachfrage beim Empfänger. Die Anwälte müssen die Kontrolle der laufenden Fristen entweder durch einen Ausdruck oder Fehlerprotokolle sicherstellen. Unterbleibe das, liege darin ein anwaltliches Organisationsverschulden, befand das BAG unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 28.02.2019, Az. III ZB 96/18).
Sollten Juristen kennen: 8 wichtige Urteile des BAG aus 2019 . In: Legal Tribune Online, 06.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39113/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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